Eine Tagung, die sich an alle richtete, die in Verwaltung, Politik und Bildung Verantwortung tragen und sich in ihrer alltäglichen Arbeit zu antisemitischen Erscheinungsformen verhalten müssen.
Die Zeiten sind vorbei, als die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen glauben konnte, Antisemitismus sei eine rückständige Einstellung von ein paar ewig Gestrigen.Von den Denkmustern „solcher Leute“ konnte man sich gut distanzieren. Doch mittlerweile ist unüberhörbar, dass altbekannte Vorurteile wieder unverhohlen vorgetragen werden, und keineswegs nur von bildungsfernen oder „klassisch“ rechtsorientierten Personen. Irritierend sind auch antisemitische Äußerungen von Migrant*innen, egal welchen Alters und egal, ob sie schon lange oder erst seit kurzem in Deutschland leben. Welche Berechtigung hat die weiße Mehrheitsgesellschaft denn, den Antisemitismus „der anderen“ zu beklagen? Große Unsicherheit und Unmut gegenüber dem Thema schließlich erwächst aus den überaus kontroversen Diskursen über Antisemitismus in der Beurteilung des Nahostkonflikts. Da sehen die einen ihre Kritik an der Politik eines Staates von der „Antisemitismuskeule“ zurückgewiesen, und die anderen mögen gar nicht glauben, welche Meinungsäußerungen in die Floskel gehüllt werden „das muss man doch sagen dürfen“.
Es gibt also viel Anlass zur Sorge, dass sich menschenverachtende Einstellungen unbemerkt breit machen. Die Veranstaltung möchte dazu beitragen, den hier, in unserer Stadtgesellschaft vorkommenden Antisemitismus kennen zu lernen und zu beurteilen. Ist Antisemitismus „nur“ eine Spielart von Rassismus? In welchen Gewändern kommt der Antisemitismus heute daher und wer ist gefährdet? Auf dieser Grundlage sollen erste Perspektiven entwickelt werden, wo angesetzt werden kann, um Antisemitismus zurückzudrängen.
Die Veranstaltung richtete sich an alle, die in Verwaltung, Politik und Bildung Verantwortung tragen und sich in ihrer alltäglichen Arbeit zu antisemitischen Erscheinungsformen verhalten müssen.
Im Einführungsvortrag "Antisemitismus: „Wahn-Sinn“ im kollektiven Gedächtnis" von Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel wurde dargestellt, dass Antisemitismus nicht bloß ein Vorurteilssystem ist, sondern ein auf judeophoben Stereotypen basierendes Weltdeutungssystem, das in den abendländischen Denk- und Gefühlsstrukturen verankert ist. Über Sprachgebrauchsmuster werden judenfeindliche Stereotype ständig reproduziert und bleiben damit im kollektiven Bewusstsein. Auch die Erfahrung des Holocaust hat diese Tradition nicht gebrochen: In aktuellen antisemitischen Texten spiegelt sich das uralte Ressentiment gegenüber Juden wider. Anhand empirischer Daten wurde die kulturhistorische Dimension von Judenfeindschaft thematisiert sowie der moderne Antisemitismus in seinen derzeit dominanten Manifestationen des Anti-Zionismus und Anti-Israelismus erörtert. Erläutert wurde auch, wie vehement sich heute Antisemiten gegen den Vorwurf des Antisemitismus wehren und zugleich fakten- und realitätsresistent an ihrem konzeptuell geschlossenen „Wahn-Sinn“ festhalten.
Den Vortrag von Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel können Sie auf unserer Soundcloud-Seite nachhören und herunterladen:
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Weiterführende Links zum Vortrag:
Aktueller Antisemitismus - Konzeptuelle und verbale Charakteristika
Antisemitismus erklärt: Interview mit Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel
Antisemitismus in der extrem Rechten Münchens
Robert Andreasch, a.i.d.a Archiv München
Zivilgesellschaftliche Erfassung antisemitischer Vorfälle in Berlin
Benjamin Steinitz, Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin
Die Präsentation von Benjamin Steinitz können Sie hier als PDF-Datei herunterladen (3 MB).
AG "Antisemitismus in Verschwörungstheorien und Kapitalismuskritik"
In der AG wurden die Funktionen und Ursachen von Verschwörungstheorien vorgestellt und ihr Zusammenhang Antisemitismus und völkischer Kapitalismuskritik analysiert.
AG "Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft"
Wenn gegenwärtig über Antisemitismus in Deutschland gesprochen wird, dann wird vor allem über so genannte „Extremist*innen“ sowie über – vor allem „muslimische“ - Migrant*innen“ gesprochen; und damit nur ein Teil des Antisemitismusproblems in Deutschland in den Blick genommen. Auf Basis eines Verständnisses der gesamten deutschen Gesellschaft als Einwanderungsgesellschaft, wurden im Rahmen der Arbeitsgruppe einige zentrale antisemitische Erscheinungsformen samt entsprechender Kontroversen und Erkenntnisse der Antisemitismusforschung vorgestellt. Es wurde deutlich, dass antisemitische Denk- und Deutungsmuster in unterschiedlichen Kontexten von Bedeutung sind und dass ganz unterschiedliche Motive und auch Träger*innen eine Rolle spielen.
Präsentation von Mirko Niehoff, Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, hier zum Herunterladen.
Kurzprotokoll der AG-Diskussion als PDF
AG "Klassischer Antisemitismus“
Zusammenfassung des Vortrags von Richard Volkmann, Europäische Janusz-Korczak-Akademie München, als PDF-Datei.
Kurzprotokoll der AG-Diskussion als PDF
Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute
Projektvorstellung
Isabel Enzenbach, die Kuratorin der ab 09. März 2017 im NS Dokumentationszentrum zu sehenden Ausstellung „Angezettelt“ gab einen Überblick über das Konzept und die inhaltlichen Schwerpunkte der Ausstellung, die Judenfeindlichkeit, Rassismus und andere aktuelle Feindbilder anhand von außergewöhnlichen Exponaten dokumentiert. Zu der Münchner Präsentation gehören zahlreiche aktuelle Sticker sowie Dokumente der Gegenwehr gegen Antisemitismus und Rassismus. Wann, wo, von wem und zu welchem Zweck und mit welcher Wirkung wurden die Aufkleber produziert und verwendet? Welche Reaktionen auf diese Verbreitung von Hass im Kleinformat sind überliefert? Welchen gestalterischen Prinzipien folgt die Ausstellung bei der Präsentation dieser nicht-musealen Exponate?
Seit dem Kaiserreich zeugen massenhaft verbreitete Klebezettel, Sammelbilder, Briefverschlussmarken und Sticker von menschenfeindlichen Ressentiments gegen Juden und andere Gruppen. Die vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg und dem NS-Dokumentationszentrum München konzipierte Ausstellung beschreibt die soziale Praxis, mit deren Hilfe antisemitische und rassistische Feindbilder geschürt wurden und werden. Aber auch die Gegenwehr der Betroffenen und der Zivilgesellschaft findet Ausdruck in diesem kleinformatigen sozialen Medium.
Fotodokumentation von Ausstellungsexponaten (2 MB)
Referent*innen:
Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel
Kognitionswissenschaftlerin und Antisemitismusforscherin an der TU Berlin. Publikationen zum Thema u.a.: Aktueller Antisemitismus – ein Phänomen der Mitte (Hrsg. mit J. Reinharz/E. Friesel, 2010), Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert, 2013 (mit J. Reinharz), Gebildeter Antisemitismus (Hrsg., 2015); seit 2014 Leitung des DFG-Projekts „Verbal-Antisemitismus im World Wide Web“.
Jan Rathje
Politikwissenschaftler, er studierte in Potsdam und Greifswald mit den Schwerpunkten Rechtsextremismus und Politische Theorie. Für die Amadeu-Antonio-Stiftung verfasste er 2014 die Broschüre „‚Wir sind wieder da‘. Die ‚Reichsbürger‘: Überzeugungen, Gefahren und Handlungsstrategien“. Seit 2015 arbeitet er im Projekt zur Auseinandersetzung mit „Verschwörungstheorien“.
Mirko Niehoff
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle Politikdidaktik am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und politischer Bildner bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V. Er promoviert zu sozialen Deutungsmustern unter Jugendlichen zum Nahostkonflikt. Autor von „Nahostkonflikt kontrovers – Perspektiven für die politische Bildung“.
Richard Volkmann
Studierte jüdische Geschichte der Neuzeit in München, Turin und Jerusalem. Er promoviert in München zum deutschen Judentum in der Revolution von 1848 und arbeitet bei der Europäischen Janusz Korczak Akademie als Vorstandsreferent.
Benjamin Steinitz
Projektleiter, "Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin" (RIAS), Berlin
Robert Andreasch
a.i.d.a Archiv, München
Isabel Enzenbach
Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin
Marian Offmann
Stadtrat, München
Moderation: Dr. Martina Ortner
Partner
Landeshauptstadt München
Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München (FIRM)
Netzwerk demokratische Bildung München