Retraditionalisierung, Corona-Verschwörungen und Antifeminismus

Über das Verhältnis von Antifeminismus und Corona-Verschwörungen und wie die Corona-Pandemie antifeministische Entwicklungen begünstigt.

Die globale Corona-Pandemie löste verschiedene krisenhafte Szenarien aus und macht gesellschaftliche Verhältnisse sichtbar. Einige der Corona-bedingten Entwicklungen haben Einfluss auf das Geschlechterverhältnis und bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen lassen sich ideologische und personelle Verknüpfungen zum Antifeminismus erkennen. Im folgenden Text gebe ich erste Eindrücke, wie durch die Corona-Krise antifeministische Entwicklungen begünstigt werden und an welchen Stellen sich Verschränkungen von Antifeminismus und Corona-Verschwörungen erkennen lassen.

Als antifeministisch gelten insbesondere Mobilisierungen gegen feministische Forderungen und Errungenschaften. Antifeministische Feindbilder und Ideale werden von verschiedenen politischen Spektren geteilt und ermöglichen so regelmäßig gemeinsame Mobilisierungen wie bspw. gegen die Überarbeitung des Bildungsplans von Baden-Württemberg 2014/15. Oftmals verfolgen Antifeminist*innen das Ziel, Geschlechterverhältnisse einer idealisierten Vergangenheit zu erreichen. Daher schreiben viele Antifeminist*innen Frauen auf ihre potentielle Rolle als Mutter fest und skandalisieren Schwangerschaftsabbrüche. Sie verbindet das Ideal einer heterosexuellen Kleinfamilie und die Feindschaft gegen einen als übermächtig inszenierten Feminismus (Blum 2019, 114-115)[1].

Tendenz zur Retraditionalisierung

Durch den von der Corona-Pandemie ausgelösten teilweisen Lockdown in Deutschland im März und April 2020 bekamen Berufe im Care-Bereich, die nun als „systemrelevant“ erkannt wurden und klassischerweise von Frauen[2] ausgeübt werden, eine verstärkte Aufmerksamkeit und Anerkennung, die jedoch oft symbolischer Natur blieb. Gleichzeitig entstand durch Schul- und Kitaschließungen eine Betreuungslücke. Männer arbeiteten zwar oft im Home-Office, aber meist übernahmen Frauen wie selbstverständlich anfallende Sorge-, Pflege- und Bildungsaufgaben, waren einer enormen Belastung ausgesetzt und vernachlässigten teilweise ihre Erwerbsarbeit. Erste Studien unterfüttern die befürchtete Tendenz, dass es dadurch zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse im Privaten kam.[3]

Einige Antifeminist*innen sehen in dieser Situation die Chance, dass sich traditionelle Familienbilder wieder durchsetzen. Die Publizistin Birgit Kelle veröffentlichte bspw. auf dem Blog demofueralle[4] den Artikel „Die ersetzbare Mutter – ein Mythos hat Pause“[5]. In ihrem Beitrag nennt sie ausschließlich Frauen als relevant für die Kindererziehung. Denn von Vätern spricht sie nicht, wenn sie schreibt: „Millionen von Familien stellen gerade fest, dass dann, wenn der Staat als Nanny ausfällt, die Familie und ja, die Mutter, wieder in den Mittelpunkt des Haushaltes rückt.“

Auch der Verein deutsche Sprache e. V. nutzte im März 2020 die Corona-Situation für seine antifeministische Agenda. So bewarb der Verein seinen antifeministischen Aufruf gegen den „Gender-Unfug“ mit der Behauptung, dass an deutschen Universitäten notwendige Gelder für die Virusforschung fehlten. Schuld daran seien die als immens hoch behaupteten finanziellen Ausgaben für die Gender Studies.[6]

Ideologische und personelle Schnittmengen

Bei den insbesondere seit April 2020 öffentlich auftretenden Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen lassen sich inhaltliche und personelle Verbindungen zum Antifeminismus erkennen, wenn Corona-verharmlosende Aussagen und Corona-Verschwörungserzählungen mit klassisch antifeministischer Rhetorik verknüpft werden. Große Resonanz bei Corona-Verschwörungsgläubigen findet die ehemalige Tagesschausprecherin Eva Herman, eine der bekanntesten Antifeminist*innen Deutschlands und mittlerweile in der rechten Publizistik aktiv. Auf ihren verschiedenen Social-Media-Kanälen äußert sie sich regelmäßig Corona-verharmlosend und verbreitet Verschwörungserzählungen über Corona. Im Mai 2020 veröffentlichte sie auf ihrem Youtube-Kanal „Wissensmanufaktur“ ein Interview mit Xavier Naidoo, in dem der prominente Musiker (antisemitische) Verschwörungserzählungen ausbreitet, die Schaffung einer „Neuen Weltordnung“ befürchtet und vor Impfungen als gefährlich und tödlich warnt.[7] Auch mit dem langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten und Arzt Wolfgang Wodarg, der sich regelmäßig Corona-verharmlosend äußert, führte Herman im März 2020 ein Interview, das den reißerischen Titel „Krieg gegen die Bürger“ trägt.[8]

Klassische Lebensschutz-Rhetorik

Ebenfalls im Zusammenhang mit Antifeminismus stehen die Corona-verharmlosenden Äußerungen von Joseph Wilhelm, Geschäftsführer der Bio-Marken Rapunzel und Zwergenwiese. In einem mittlerweile gelöschten Beitrag im Mai 2020 auf der Website von Zwergenwiese beschreibt er Covid-19 als harmlose Grippe und behauptete hinter den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie „unterschwellige kommerzielle Gründe, mit denen sich angesichts geschürter Todesangst hervorragend Geschäfte machen lassen.“ In klassischer Lebensschutz-Rhetorik[9] relativiert er die Todesopfer der Pandemie mit der anschließenden Aussage, dass in „modernen“ Gesellschaften jährlich rund 12 Millionen Abtreibungen durchgeführt würden, dies hingegen als Errungenschaft gelte.[10] Gleichermaßen werden in dem offenen Brief „EIN AUFRUF FÜR DIE KIRCHE UND FÜR DIE WELT. An Katholiken und alle Menschen guten Willens“[11], Corona-Verschwörungserzählungen in Verbindung mit Schwangerschaftsabbrüchen gebracht. Der Brief wurde von katholischen Bischöfen formuliert und von Initiativen gegen Schwangerschaftsabbrüche und Impfungen unterstützt. Hinter den Corona-Maßnahmen werden – klassisch verschwörungserzählerisch – geheime Kräfte vermutet. Es wird behauptet, dass für die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs abgetriebene Föten genutzt würden. Aus diesem Grund sei die Corona-Impfung für Katholik*innen „moralisch inakzeptabel“.

Gemeinsames Feindbild als Brücke zwischen verschiedenen Spektren

Untersucht man Antifeminismus und die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen hinsichtlich ihrer ideologischen Grundsätze, verwundern diese Überschneidungen wenig. Denn Antifeminismus ist ohnehin eng mit Verschwörungserzählungen verknüpft und tritt in Zeiten von Verunsicherung und Krisensituationen verstärkt auf (Blum 2019, S.112-115). Eine strukturelle Ähnlichkeit ist, dass bei beiden Deutungswelten ein abstraktes Feindbild gemeinsame Mobilisierungen verschiedener politischer Spektren ermöglicht. Im Gegensatz zum Antifeminismus sind bei den Corona-Protesten jedoch auch Personen aus dem Esoterik- und Impfgegner*innen-Spektrum prominent vertreten. Viele Antifeminist*innen und Corona-Verharmloser*innen teilen darüber hinaus ein antimodernes Weltbild und argumentieren oft wissenschaftsfeindlich.

Protest gegen Corona-Maßnahmen als Einstiegsideologie

Es besteht die Gefahr, dass die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen bei Anhänger*innen als Einstiegsideologie in ein festes verschwörungsgläubiges Weltbild fungieren, das stets eng mit menschenfeindlichen Ideologien wie Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus verknüpft ist und regelmäßig bei rechtsterroristischen Attentaten Teil des Motivs ist. Möglicherweise bringen die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen ein längerfristiges Bündnis aus Verschwörungsanhänger*innen hervor, das zu einer Politisierung des esoterischen und impfgegnerischen Spektrums führen könnte und das bspw. durch die Skandalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen latent antifeministisch ist. Weitere Gefahren der Corona-Verschwörungen liegen darin, dass antisemitische Anfeindungen zunehmen und dass die Krankheit nicht ernst genommen wird und dadurch mehr Menschen erkranken und sterben. Indirekt führt das Nichternstnehmen der Pandemie möglicherweise zu weiteren Lockdowns, die wiederum eine geschlechtliche und familiäre Retraditionalisierung begünstigen.

Der Hinweis auf die Verknüpfung von Antifeminismus und Corona-Verschwörungen soll nicht den Blick auf die strukturell verankerte Verschränkung von Antisemitismus bei den Corona-Verschwörungen verwässern. Viel eher sollte die großteils erfreulich breit besprochene Verknüpfung von Antisemitismus und Corona-Leugnung noch um Antifeminismus ergänzt werden.

 

[1] Blum, Rebekka (2019): Angst Um Die Vormachtstellung. Zum Begriff Und Zur Geschichte Des Deutschen Antifeminismus. Hamburg: Marta Press.

[2] Da Statistiken zum Thema Geschlechterverhältnisse in der Pflege- und Sorgearbeit mit binären Geschlechtermodellen arbeiten und ich daher keine gesicherten Aussagen über die Repräsentation von INT* (inter, nicht-binär, trans *) in diesem Themenfeld geben kann, verwende ich an dieser Stelle den Begriff Frauen.

[3] Eine erste statistische Erhebung findet sich hier: https://www.boeckler.de/data/Boeckler-Impuls_2020_08_S4-5.pdf (abgerufen am 22.08.2020). Einen Essay zu Chancen, aber auch Gefahren der Retraditionalisierung durch Home Office in der Corona-Krise hat Thomas Gesterkamp für das Gunda-Werner-Institut verfasst: http://www.gwi-boell.de/de/2020/04/28/abrupter-rueckfall-alte-rollenmuster (abgerufen am 31.08.2020).

[4] Der Blog ist ein zentraler Ort der (antifeministischen) Vernetzung u.a. bzgl. der Proteste gegen Bildungspläne, in denen die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt als Leitbild verankert werden sollte, wie bspw. in Baden-Württemberg 2014-2015.

[9] Lebensschützer ist die Eigenbezeichnung von christlich fundamentalistischen Gegner*innen von Schwangerschaftsabbrüchen, die bspw. bei den jährlich stattfindenden Märschen für das Leben auftreten, Schwangerschaftsabbrüche als Mord darstellen und teilweise vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen Mahnwachen abhalten.

[11] https://veritasliberabitvos.info/aufruf/ (zuletzt abgerufen am 22.08.2020).