Russland nach Putin: Putins Diktatur - Genese und Ausblick

Am 12.03.2024 lud die Petra-Kelly-Stiftung in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Russland nach Putin ein. Zu Gast war Jens Siegert, Publizist und langjähriger Russland-Experte, welcher selbst über 25 Jahre in Moskau lebte und zwischen 1999 und 2015 das dortige Büro der Heinrich-Böll-Stiftung leitete. Moderiert wurde die Veranstaltung von Natalia Korotkova, Vorstandsmitglied des Vereins Free Russians e.V. Hauptaugenmerk lag auf der Frage nach der inneren Verfasstheit des politischen Systems sowie der Gesellschaft in Russland und den inhärenten Konflikten. 

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Wohin treibt Russland

Siegert zeichnete zum Einstieg ein aktuelles Bild der russischen Zivilbevölkerung und ausländischer Journalisten. Für diese sei öffentliche Kritik am Krieg riskant, schon Tweets könnten schwerwiegende Konsequenzen haben. Der Kreml gehe hart gegen Andersdenkende vor, was sich unter anderem in der Verhaftung des US-Journalisten Ivan Gershkovich zeige. Viele westliche Journalisten seien nach der Invasion ausgereist. Gleichzeitig sei für viele Russen die Entscheidung zur Ausreise schwierig, da ihr gesamtes Leben – Familie, Freunde, Arbeit – in Russland verwurzelt sei.

Jens Siegert legte dar, dass Russland nicht pauschal als undemokratisch abgestempelt werden dürfe. Das Land dürfe nicht aufgegeben oder isoliert werden – vielmehr müsse überlegt werden, wie der Westen langfristig mit Russland umgehe. Umfragen des russischen Levada-Zentrums, welches nach Siegerts Aussage nach wie vor verlässliche Meinungsforschung betreibe, zeigten, dass lediglich 20 % der Bevölkerung Putin treu ergeben seien, während knapp 20 % entschiedene Gegner seien. Mehr als 60 % sähen sich selbst als unpolitisch. Dies sei ein Erbe der traditionellen Trennung zwischen Obrigkeit und Volk sowie einer historischen Rolle der Bürger als Gefolgschaft, verbunden mit kaum ausgeprägten Erfahrungen der russischen Bevölkerung mit politischer Beteiligung, so Siegert. Diese Haltung werde durch staatliche Propaganda verstärkt, welche die Bevölkerung als passive Zuschauer halte.

Auch die Veränderung der russischen Propaganda – von einer Leugnung des Krieges über die Bezeichnung als Spezialoperation hin zu einem Narrativ des Krieges als existenzielle Bedrohung für Russland – wurde diskutiert. Siegert betonte hier besonders, viele Russen fürchteten, eine Niederlage würde das Ende ihres Landes bedeuten – eine Angst, die auf den Zerfall der Sowjetunion zurückzuführen sei.

Auch die Annäherung Russlands an China und Nordkorea wurde thematisiert. Während dies von einigen als geopolitische Kränkung empfunden werde, werde es in der Bevölkerung weitgehend verdrängt. Putin präsentiere Russland als eigenständigen Machtpol, der sich vom Westen emanzipiere. Die wachsende Abhängigkeit von China werde heruntergespielt, ebenso wie Befürchtungen, dass Sibirien langfristig unter chinesischen Einfluss geraten könnte.

Abschließend betonte Siegert, dass Russlands Zukunft nach Putin ungewiss bleibe. Das politische System sei stark personalisiert, und ein Machtwechsel bedeute nicht automatisch Demokratisierung. Innerhalb des Systems gebe es gegensätzliche Strömungen: Während einige den Krieg und die Isolation vom Westen befürworteten, sähen andere darin eine Bedrohung für die Zukunft Russlands. Einen internen Machtkampf nach Putin halte er für wahrscheinlich, doch die Erfolgsaussichten für eine demokratische Wende seien schwer einzuschätzen.

Die Diskussion machte deutlich, dass der Westen bescheiden in seinen Einflussmöglichkeiten sein müsse. Unter den aktuellen Bedingungen sei es fast unmöglich, die russische Bevölkerung von außen zu erreichen. Dennoch solle die Unterstützung für diejenigen aufrechterhalten werden, die innerhalb Russlands politische Arbeit leisten. Solange Putin an der Macht sei, bleibe die Wahrscheinlichkeit eines Krieges hoch, weshalb die Unterstützung der Ukraine von strategischem Interesse für Europa sei.

 

Konstantin Stehle | regensburg.sicherheitspolitik.de