Wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, dann muss sie zu allererst dort beginnen, wo Produkte hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden: in der Wirtschaft.
Projekte - Perspektiven - Probleme
Wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, dann muss sie zu allererst dort beginnen, wo Produkte hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden: in der Wirtschaft. Wie kann dies konkret aussehen? Dieser Frage sind wir in Zusammenarbeit mit der Neumarkter Lammsbräu nachgegangen, die seit 2002 durch ihren Nachhaltigkeitspreis zukunftsweisende Projekte und Ideen fördert.
Im Rahmen unserer Tagung hatte zunächst die gastgebende Lammsbräu Gelegenheit, über Ziele, Erfolge und Perspektiven des Unternehmens zu berichten. Johannes Ehrnsperger, der mittlerweile die Brauerei leitet und als Nachfolger seines Vaters, des langjährigen Lammsbräu-Chefs Dr. Franz Ehrnsperger, die Familientradition fortsetzt, wies darauf hin, dass Lammsbräu der Bio-Pionier seiner Branche sei. Ihr Motto: „100% Bio, 0% Kompromiss“. Der Umstellungsprozess, der mit der Festschreibung des Umweltschutzes als Unternehmensziel 1977 begonnen hatte, dauerte bis zum Jahr 1994: Seitdem sind alle Biere der Lammsbräu zu 100% Bio-Biere. Die Rohstoffe dafür (also: Braugerste, Dinkel, Weizen, Hopfen und Wasser) kommen allesamt aus der Region. Mit den Öko-Vertragsbauern, die in der „Erzeugergemeinschaft für ökologische Braurohstoffe“ zusammengeschlossen sind, gibt es Verträge mit fünfjähriger Laufzeit, die den Landwirten ökonomische Sicherheit für ihre Arbeit und Fixpreise deutlich über dem ansonsten üblichen Marktniveau garantieren.
Inzwischen stellt die Lammsbräu neben diversen Biersorten auch Bio-Limonaden und Bio-Mineralwasser her. Anders als beim Bierbrauen werden für die Limonaden auch Rohstoffe benötigt, die nicht in der Oberpfalz, also in der Region, angebaut werden können. Doch auch hier versucht die Lammsbräu die Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette zu übernehmen, obwohl sie keinen direkten Einfluss auf die Umwelt- und Sozialstandards hat. Deshalb haben die Limonaden des Unternehmens seit 2018 eine Naturland-Zertifizierung, die neben der Bio-Qualität der Rohstoffe auch Mindeststandards bei Löhnen und Arbeitsbedingungen sicherstellen soll.
Die seit 2001 jährlich veröffentlichten Nachhaltigkeitsberichte geben im Detail Aufschluss und Rechenschaft über die Unternehmenspolitik und ihre Ergebnisse. Im Mittelpunkt stehen derzeit neben der schon seit langem betriebenen Förderung des ökologischen Landbaus die CO2-Reduktion im Betrieb selbst sowie die Kompensation der nicht vermeidbaren CO2-Emissionen. Einzelheiten dazu sind dem Nachhaltigkeitsbericht für das Jahr 2018 zu entnehmen.
Simon Scholl, Mitbegründer und langjähriges Vorstandsmitglied des „Kartoffelkombinats“ in München, informierte über dieses „transformative Pionierprojekt“ der solidarischen Landwirtschaft (Solawi). Der Grundgedanke dabei: Eine mehr oder weniger große Zahl von Privathaushalten garantiert die Abnahme der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Alles, was für Anbau und Ernte sowie Verteilung notwendig ist, wird vorfinanziert. Diese Gruppe erhält die gesamte Ernte und teilt sie gerecht untereinander auf. Die Beschäftigten erhalten dafür ein garantiertes Einkommen. Sowohl die Lebensmittel als auch das Einkommen sind also von Marktzwängen abgekoppelt. Die Verantwortung, das Risiko, das die landwirtschaftliche Produktion mit sich bringt (z.B. schlechte Ernte auf Grund von Witterungsbedingungen), die Kosten und die Ernte werden solidarisch geteilt – eine „Win-Win-Situation“ für alle Beteiligten.
Das Kartoffelkombinat hat sich, um diesen Grundgedanken umzusetzen, in Form einer Genossenschaft organisiert. Es gibt keine Kund*innen, sondern nur Mitglieder. Inzwischen verfügt das Kartoffelkombinat - wie Scholl erläuterte - über eine eigene Biogemüse-Gärtnerei in Oberschweinbach, etwa 35 km westlich von München gelegen. Die jährlichen Kosten (Stand: 2018) liegen bei 1,26 Mio. Euro, die von mittlerweile über 1800 Mitgliedern aufgebracht werden. 1.550 Mitglieder haben einen Ernteanteil, der Kostenbeitrag beläuft sich auf 75 Euro pro Monat. Die Produktmengen sind durchaus beträchtlich, z.B. 10.000kg Äpfel, 13.000 kg Tomaten oder 47.000 kg Kartoffeln. Dafür stehen als Anbaufläche zur Verfügung: 5 ha Freiland für Gemüse plus 1,6 ha für Kartoffeln, 2.100 qm in Treibhäusern sowie vier Folientunnel.
Ganz bewusst setzen sich die Mitglieder des Kartoffelkombinats mit der Frage auseinander, ob das bisherige Wachstum der Organisation so weitergehen kann. Wenn die betriebswirtschaftliche Stabilität erhalten werden, der soziale Zusammenhalt stabil bleiben soll und der transformative Charakter gestärkt, dann scheint bei 1.800 zu versorgenden Haushalten die Grenze bzw. die optimale Größe erreicht zu sein. Dann heißt es: weitere Solawi-Projekte gründen und aufbauen. Dabei Hilfestellung zu geben und andere Projekte von den eigenen Erfahrungen profieren zu lassen, ist das Ziel des Kartoffelkombinat-Vereins, der 2016 gegründet wurde: Er bietet Seminare und Beratung an, betreibt Forschungsarbeit und erstellt ein Praxishandbuch für die Umsetzung der Solawi-Ideen.
Nachhaltigkeit – im Finanzsektor ist das leider immer noch eher ein „Fremdwort“. Dass es auch anders geht, zeigt die GLS Bank, die seit 1974 ein sozial-ökologisch orientiertes Bankgeschäft betreibt. Maurice Attenberger von der Münchner Filiale erläuterte einige wichtige Wegmarken in der Firmengeschichte: 1989 wurde von ihr der erste Windkraft-Fonds gegründet. Die Schönauer Strom-Rebellen wurden von ihr 1996 bei der Übernahme des kommunalen Stromnetzes unterstützt. Mittlerweile hat sie sieben Filialen in der Bundesrepublik, eine davon in München. Seit 2008 hat sie ihre Bilanzsumme verfünffacht. Auch die beiden anderen auf der Tagung vorgestellten Unternehmen (und auch die Petra-Kelly-Stiftung) sind bei ihr Kunden.
Das Geschäftsprinzip der GLS Bank ist klar: Sie spekuliert nicht mit dem ihr anvertrauten Geld (kein Derivate-Handel!), sondern sie vergibt Kredite an nachhaltige Unternehmen, die sozial, ökologisch und ökonomisch sinnvolle Dinge schaffen. Sie unterstützt z.B. die Energiewende und finanziert Bio-Landwirtschaft und Betriebe, die ökologische Lebensmittel verarbeiten. Im Immobiliensektor geht es um die Förderung von Wohnungen und Arbeitsstätten, die Ressourcen schonen, Strom erzeugen, ein lebenswertes Umfeld bieten und durch ihre nachhaltige Bauweise eine langfristig sinnvolle Investition darstellen. Ausdrücklich ausgeschlossen von einer Finanzierung sind beispielsweise folgende Geschäftsfelder: Atom- & Kohleenergie, Rüstung und Waffen, Biozide & Pestizide, Gentechnik in der Landwirtschaft, chlororganische Massenprodukte, Massentierhaltung, Embryonenforschung, Suchtmittel und Tierversuche.
Dr. David Löw Beer vom Institute for Advanced Sustainability Studies versuchte, den Transformationsgedanken, den die vorgestellten Einzelprojekte in je verschiedener Weise verfolgen, in einen breiteren gesellschaftspolitischen Rahmen zu stellen, vor allem im Hinblick auf das allgegenwärtige Thema Klimaschutz. Das, was die Kohlekommission als Vorschläge zur Reduktion der CO2-Emissionen gemacht hat, ist für Löw Beer jedenfalls ungenügend, um die internationalen Verpflichtungen der BRD einzuhalten. Eine CO2-Bepreisung dagegen sei gerecht, weil sie die Kosten des Klimaschutzes zumindest zum Teil den Verursachern aufbürdet. Es müssten aber kurzfristige Härten für die Haushalte vermieden werden. Um eine tatsächliche Verhaltensänderung zu bewirken, seien als „Einstieg“ mindestens 40 Euro pro Tonne notwendig. Um alle externen Kosten abzudecken, müsste der Preis für eine Tonne CO2-Emission bei 120-180 Euro liegen.
Um einen sinnvollen Einsatz der Einnahmen im Sinne von Klima- und Umweltschutz zu erreichen, schlägt Löw Beer die Einrichtung von Zukunftsfonds vor. Die Mittel dieser Fonds sollen zur einen Hälfte in klimafreundliche Infrastruktur fließen, z.B. in den Ausbau erneuerbare Energien, in Energieeffizienz, Elektromobilität und digitale Infrastruktur. Die andere Hälfte soll in Unternehmen investiert werden, die die UN-Klima- und Nachhaltigkeitsziele verfolgen.
Auch Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, widmete sich den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung und warf dabei einen kritischen Blick auf die Versprechen der sog. „grünen Ökonomie“ bzw. die Hoffnung auf ein „grünes“ Wachstum. Die Protagonisten der Grünen Ökonomie – Weltbank, UNEP, OECD – glauben, dass zwar ein „Weiter so“ angesichts der klima- und umweltpolitischen Herausforderungen keine Lösung ist. Sie setzen aber vor allem auf technologischen Lösungen und Effizienzsteigerungen. Ihre Botschaft ist: Die Wirtschaft kann weiter wachsen, Wachstum kann grün werden. Genau das aber macht das Leitbild der Grünen Ökonomie aus der Sicht von Barbara Unmüßig problematisch und kritikwürdig: Es wird suggeriert, dass die Welt, wie wir sie kennen, mit einem effizienteren, ressourcenschonenden und grünen Wachstum weitgehend erhalten bleiben kann. Reale Machtstrukturen im ökonomischen wie politischen Kontext werden aus dieser Perspektive jedoch ignoriert. Die Grüne Ökonomie ist deshalb für Unmüßig keine realistische Zukunftsoption. Ignoriert wird z.B. der sog. Rebound-Effekt: Effizienzgewinne führen zwar zu Ersparnissen, werden aber durch andere ressourcenintensive Ausgaben und Verhaltensweisen wieder zunichte gemacht. Eine absolute Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch ist und bleibt eine Illusion. Eine grundlegende Transformation der Wirtschaftsweise erfordert jedoch - so Barbara Unmüßig – ein echtes Umdenken: nicht nur effizienter, sondern wirklich anders und weniger wirtschaften und konsumieren, weniger individueller Personenverkehr, weniger Fleischkonsum, weniger Flächenverbrauch, eine andere Landwirtschaft ohne Gentechnik, Pestizide und Massentierhaltung.
ReferentInnen
Maurice Attenberger
Regionalleiter Firmenkunden Bayern, GLS Bank München
Dr. David Löw Beer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam
Johannes Ehrnsperger
Geschäftsführender Inhaber Neumarkter Lammsbräu
Simon Scholl
Gründer und Vorstand im Kartoffelkombinat
Barbara Unmüßig
Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung Berlin
Moderation: Theresa Körner, Kommunikationswissenschaftlerin, Universität Bamberg