Finanzpolitik in und nach Corona

Analyse

Die Finanzpolitik hat in der Krise gut funktioniert und durch die schnelle und massive Aufnahme von Krediten viele Auswirkungen der Pandemie abgefedert. Aber für die Bewältigung der großen Zukunftsaufgaben Klimaschutz und demografischer Wandel gilt es, eine neue Richtung einzuschlagen.

Vor einem Jahr, im März 2020 breitet sich das neuartige Corona-Virus mit rasenden Geschwindigkeit in Europa aus. Am 22. des Monats geht dann auch Deutschland in den Lockdown. Im März 2021, ein Jahr später, bewegt sich das vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stillstand zunehmend zermürbte Land aus der zweiten Infektionswelle heraus, nur um mit der einsetzenden dritten Welle konfrontiert zu werden. Mittelfristig darf gehofft werden, dass die Impfgeschwindigkeiten anziehen und dass Deutschland parallel zu seinen europäischen Partnern im Sommer auf dem Weg in die immunologische Normalität ist. Welche Rolle spielt dabei die Finanzpolitik? Welche Aufgaben kommen auf sie nach Corona zu?

Finanzpolitik ist in der akuten Pandemie kein großes Thema. Das ist – auch aus Sicht der Fachleute – eine sehr positive Beobachtung. Denn eine Finanzpolitik, die in dieser besonderen Zeit kein besonderes Thema ist, funktioniert in der Krise gut. Die Corona-Pandemie und die Maßnahmen, die zu ihrer Bekämpfung notwendig waren (und sind), hätten zusammen durchaus das Potenzial gehabt, den Großteil der deutschen Firmen in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben und Massenarbeitslosigkeit zu schaffen. Dass ein solches Szenario niemals ernsthaft zu befürchten war, verdankt sich auf allen Ebenen – von den Gemeinden bis zur Europäischen Union – einer Finanzpolitik, die schnell und massiv Kredite aufgenommen hat. Hier haben sich die Notfallklauseln in den Schuldenbremsen von Bund und Ländern als ausreichend flexibel – manche sagen: „unbestimmt“ – erwiesen, um die benötigte schnelle Ausdehnung der öffentlichen Defizite zuzulassen. Hier hat Finanzpolitik schon viel von der Krisenresilienz gezeigt, die künftig von vielen Politikfeldern gefordert wird.

Deutsche Staatsschulden steigen, aber zu sehr niedrigen Zinsen

In diesem Zuge steigt die deutsche Staatsverschuldung, die 2019 noch knapp unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag, auf jetzt schon deutlich über 70 Prozent – ohne dass man die endgültigen Verläufe der Jahre 2021 und 2022 schon seriös absehen könnte. Diese Beträge als solche stellen für Deutschland kein ernstes finanzielles Problem dar. Im internationalen Vergleich stehen wir damit sogar recht gut da. Zudem bringen Staatsschulden, die zu einem Zinssatz von um null Prozent aufgenommen werden, keine unmittelbare Zusatzbelastung mit sich. 

Tatsächlich schätzt die Europäische Kommission in ihrem Bericht zur Schuldentragfähigkeit der Mitgliedstaaten vom Anfang 2021, dass die hoch geschnellte deutsche Schuldenquote bei diesen niedrigen Zinsen dank moderaten Wirtschaftswachstums und leicht anziehender Inflation binnen zehn Jahren wieder unter die 60-Prozent-Marke sinken könnte. Auch wer diesen „Weiter so“-Zweckoptimismus für Deutschland nicht teilen mag, findet für finanzpolitische Schwarzseherei keinen Anlass. 

Normaliseren sich die Steuereinnahmen, müssen wir den finanzpolitischen Krisenmodus verlassen

Umso mehr Anlass gibt es aber, die strukturellen Probleme der deutschen (Finanz-)Politik anzugehen und eine neue Richtung einzuschlagen. Durchaus möglich, aber falsch wäre es, nach dem Ende der Pandemie wieder nur auf günstige Rahmenbedingungen – vor allem niedrige Zinsen – zu bauen, aber ansonsten eine abwartende Finanzpolitik der allzu ruhigen Hand zu betreiben wie in den Jahren 2016 bis 2019. Dazu gibt es in den kommenden Jahren viel zu viel zu tun. Nicht zuletzt gilt es, Liegengebliebenes aufzuholen. 

Der Gedanke liegt nahe, hier zunächst an die finanziellen Lasten zu denken, die in und wegen der Pandemie entstanden sind. Kurzfristig verlangt es wahrscheinlich einen gewissen Mut, den aktuellen finanzpolitischen Krisenmodus direkt wieder zu verlassen, sobald die gesundheitliche und wirtschaftliche Normalisierung eintritt. Der relevante Maßstab ist hier die Normalisierung der Steuereinnahmen; danach gibt es keine Begründung mehr für neue Krisendefizite. Die langsame Tilgung der bis dahin angesammelten Coronaschulden dürfte aber absehbar keine besondere Herausforderung darstellen. Bund und Länder haben sehr unterschiedliche Tilgungsfristen für ihre aktuellen Extraschulden beschlossen; sie reichen von drei Jahren bis 50 Jahren. Solche Extremwerte sind zu ambitioniert bzw. zu ambitionslos. 25 Jahre sind mit Blick auf die – unabsehbare, hoffentlich niedrige – Frequenz globaler Pandemien ein tauglicher Mittelweg, der diese Lasten auch sehr gut tragbar macht. 

Die großen Zukunftsaufgaben müssen über die öffentlichen Finanzen bewältigt werden

Die sehr viel größeren Herausforderungen für die deutsche Finanzpolitik liegen aber an anderer Stelle und müssen auch sehr viel schneller angegangen werden. Es sind die großen Zukunftsaufgaben für die gesamte Gesellschaft und ihre Wirtschaft. Diese Aufgaben werden primär über die öffentlichen Finanzen bewältigt werden müssen. Ganz vorn steht die voranschreitende Klimakrise. Trotz vieler Fortschritte zum Beispiel in der Energieversorgung und trotz eines inzwischen tiefgreifenden Sinneswandels bis hoch in die Konzernspitzen der deutschen Industrie, verlangen die 2020er Jahre eine enorme Beschleunigung der messbaren Klimaschutzerfolge. Um die Klimaschutzziele für 2030 noch erreichen zu können, müssen im Gebäudesektor – im Mittelpunkt stehen hier Wohnimmobilien – die Treibhausgasemissionen dreimal so schnell gesenkt werden, wie in den vergangen 30 Jahren. Im Verkehr ist es noch schlimmer; hier wurden seit 1990 noch gar keine Fortschritte erzielt, denn alle Effizienzverbesserungen im Einzelnen wurden durch zunehmenden Verkehr neutralisiert. 

Neben dem Klimawandel ist auch ein tiefgreifender demografischer Wandel zu bewältigen. Die Menschen in Deutschland werden älter und weniger; intensivierte Wanderungsbewegungen steigern die kulturelle Vielfalt und verlangen öffentliches Engagement für bessere Integration. Schließlich verlangt auch der grundlegende wirtschaftliche Wandel eine politische Antwort. Die Digitalisierung und die Entwicklung von künstlicher Intelligenz schreiten mit enormer Geschwindigkeit vorn; eine traditioneller High-Tech-Strandort wie Deutschland kann es sich nicht erlauben, hier im Vergleich zu den USA und China noch weiter ins Hintertreffen zu geraten. Die Entwicklung klima- und ressourcenneutraler Technologien verlangt nach moderner, offensiver Innovations- und Industriepolitik.  

Die Finanzpolitik bildet die gemeinsame Klammer für die gute Bewältigung dieser Zukunftsaufgaben. Sie muss ausreichende Mittel beschaffen, und dabei selbst ebenso langfristig tragfähig sein wie für die Steuerzahler*innen tragbar bleiben. Um diese Ansprüche zusammenzubringen, sind vor allem zwei wichtige Stellschrauben neu zu justieren. Zum einen muss die Schuldenbremse viel investitionsfreundlicher gestaltet werden. Gerade in einer Zeit sehr niedriger Zinsen – aber auch grundsätzlich! – sollte es möglich sein, Zukunftsinvestitionen auch mit fristengerechten Krediten zu finanzieren. Zum anderen ist die grundsätzliche Harmonie zwischen Finanz- und Klimapolitik wiederzubeleben: Hohe und kontinuierlich wachsende Preise auf die CO2-Emissionen aus fossilen Brenn- und Kraftstoffen vertragen sich über eine lange Strecke sehr gut mit den Aufkommenszielen des Fiskus. Sei es als modernisierte Energiesteuer, sei es als verstärkter Emissionshandel – auch ein sozial gut abgefederter Klimaschutz muss nicht immer nur Geld kosten; er kann auch viel Geld einbringen. 

Diese beiden großen Stellschrauben sind wichtig für die deutsche, wie auch die europäische Finanzpolitik. Diese beiden Perspektiven müssen immer zusammen gedacht werden; durch den großen Corona-Aufbauplan „NextGenerationEU“ wachsen sie auch mehr und mehr zusammen. Diese weitere Europäisierung ist eine große Chance für die EU. Sie ist aber zugleich eine große Gestaltungsaufgabe, um die Untiefen schlechter fiskalischer Governance zu umschiffen und die großen Potenziale einer demokratischen, gut finanzierten und leistungsfähigen Union realisieren zu können.