Wind- und Solarstrom wird die Primärenergie des 21. Jahrhunderts

Interview

Ökostrom ist der Dreh-und Angelpunkt für eine zukunftsfeste, klimaneutrale Industrie. Wie das Energieversorgungssystem dafür fit gemacht wird und welche Chancen darin für die Industrie liegen, erklärt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende.

1. Herr Dr. Graichen, Deutschland kann bis 2045 klimaneutral werden. Welche Anforderungen stellt das Ziel Klimaneutralität 2045 an die Energiewirtschaft?

Klimaneutralität 2045, aber insbesondere auch das neue 2030 Klimaziel von -65 Prozent Treibhausgasemissionen, bedeuten vor allem eines: Wind- und Solaranlagen bauen, bauen, bauen. Wir brauchen eine Verdreifachung unserer Neu-Installationen, und das auf Dauer. Denn Erneuerbarer Strom ist in einer Klimaneutralen Wirtschaft die neue Primärenergie. Und klar ist auch: Das neue 2030-Klimaziel bedeutet, dass der Kohleausstieg schon 2030 stattfindet, nicht erst 2038.

 

2. Die Erneuerbaren Energien müssen stärker und schneller ausgebaut werden. In Ihrem Szenario verdoppelt sich die installierte Leistung von heute etwa 130 GW auf 268 GW in 2030. Worum müsste sich eine neue Bundesregierung prioritär kümmern, damit der Ökostrom-Ausbau Fahrt aufnimmt?

Im Grunde sind es vier Dinge: Erstens müssen die Ausbauziele für Wind und Solar und die dazugehörigen Ausschreibungsmengen deutlich angehoben werden. Zweitens brauchen wir mehr Flächen. Drittens brauchen wir neue, einfache Regeln, die den Windausbau mit dem Vogelschutz in Einklang bringen und Viertens müssen die Genehmigungsprozesse schneller werden. Bundesregierung und Bundesländer sind hier gemeinsam in der Pflicht.

 

3. Was bedeutet der ambitionierte Ökostrom-Ausbau für die Strompreise?

Neue Erneuerbaren-Kapazitäten werden zu sehr geringen Preisen zugebaut, sodass sie den Strompreis kaum verändern. Gleichzeitig schlagen wir vor, die EEG-Umlage durch die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung auf Null zu senken. Die Strompreise sinken dann spürbar – und das ist gut für den Klimaschutz, denn es macht Wärmepumpen und Elektromobilität attraktiver gegenüber der Gasheizung und dem Verbrenner-Auto.  

 

4. Wie können aus Energieeffizienzgewinnen auch absolute Energieeinsparungen werden?

Allen die Elektrifizierung sorgt für absolute Energieeinsparungen, weil viele Stromanwendungen – wie etwa die Wärmepumpe und der Elektromotor – so viel effizienter sind als die Verbrenner-Alternativen. Aber vor allem im Gebäudesektor kriegen wir auch absolute Energieeinsparungen hin, wenn wir endlich die Gebäudesanierung vorantreiben. Bis 2045 kann man so den Primärenergieverbrauch halbieren, und den Endenergieverbrauch um ein Drittel senken.

 

5. Welche Rolle spielt Wasserstoff als Energieträger und Rohstoff in klimaneutralen Industrien?

Wasserstoff spielt in der klimaneutralen Welt eine zentrale Rolle: er wird Koks-Kohle in der Stahlherstellung ersetzen, Rückgrat der Chemieindustrie werden und im Energiesektor zur Versorgungssicherheit einsetzt. Wasserstoff wird allerdings nicht unendlich verfügbar sein, deswegen sollte er primär dort zum Einsatz kommen, wo es keine direkt-elektrischen Alterativen gibt. Das wird auch die viel günstigere technologische Option sein.