Polen: Ein Ende der Energieressourcen-Importe aus Russland?

Analyse

Allein im Jahr 2021 hat Russland geschätzt 500 Milliarden PLN (oder 120 Milliarden USD) aus dem Export von Energieressourcen verdient [1]. Diese Einnahmen finanzieren die Militärausgaben des Kremls. Deshalb kreisen die Debatten nun darum, ob und wie es möglich ist, auf russische fossile Brennstoffe zu verzichten. Zweifellos wäre dies eine radikale Lösung mit weitreichenden und nicht klar abschätzbaren Folgen. In diesem Fall wären Solidarität und enge Zusammenarbeit innerhalb der EU wichtiger denn je.

In diesem Artikel analysieren die polnischen Energie-Expertinnen Dr. Joanna Maćkowiak-Pandera und Dr. Aleksandra Gawlikowska-Fyk, welche Optionen Polen hat, um seine Energieabhängigkeit von Russland zu beenden.

Lesedauer: 11 Minuten

Die Versuchung, sich vor allem auf vergleichsweise billiges Öl, Kohle und Gas zu verlassen, ist groß, denn die Weltwirtschaft wurde auf diesen Ressourcen aufgebaut. Polen und andere Länder der Europäischen Union haben daher ihre Dekarbonisierung, Diversifizierung des Angebots und die Einführung erneuerbarer Energien nur schleppend verfolgt.

Europa und Russland haben im Laufe der Jahre im und durch den Energiesektor eine gegenseitige Abhängigkeit entwickelt, während der Westen sich zugleich der Illusion hingab, über diese Geschäfte mit Putin Frieden und Stabilität zu erkaufen. Dies geschah mit breiter Zustimmung der Öffentlichkeiten, da die vergleichsweise niedrigen Preise für die Verbraucher ein wichtiger Faktor waren. Russland ist seit Jahren ein Lieferant billiger Energieressourcen und profitiert gleichzeitig in enormem Umfang von diesen Geschäften - die Einnahmen aus fossilen Brennstoffen machen bis zu einem Drittel des russischen Haushalts aus.

In der sich aktuell dynamisch verändernden Situation sehen wir die Notwendigkeit, uns auf die folgenden möglichen Szenarien vorzubereiten:

  1. Die Europäische Union, einschließlich Polens, wird die Einfuhr russischer Rohstoffe aufgeben.
  2. Putin wird die Entscheidung treffen, die Versorgung des Westens mit Energieressourcen zu stoppen.
  3. Die Blockade von SWIFT wird den Einkauf von Rohstoffen erschweren.
  4. Steigende Rohstoffpreise werden die Möglichkeiten, sie zu nutzen, einschränken.

Selbst im Falle einer Deeskalation oder eines schnellen Kriegsendes wird die Fortsetzung der bisherigen Energiepolitik nicht mehr möglich sein. Und Polen wird nicht allein handeln können. Sanktionen werden von der gesamten EU eingeführt, so dass sich die Auswirkungen auf die gesamte EU-Wirtschaft erstrecken werden. In diesem Artikel konzentrieren wir uns aber zunächst nur auf Polen - in dem Bewusstsein, dass es nur ein Teil eines größeren EU-Puzzles zur Energieversorgungssicherheit ist. Während wir auf ein besseres Morgen hoffen, müssen wir uns dennoch auf das Schlimmste vorbereiten.

Wie energieabhängig ist Polen von Russland?

In den letzten 20 Jahren hat Polen über 900 Milliarden PLN (rund 200 Milliarden Euro) für die Einfuhr von Energieressourcen aus Russland bezahlt. In den letzten Jahren verzeichneten wir einen der größten Anstiege der Importe fossiler Brennstoffe unter den EU-27-Ländern. Während jedoch die Gesamtkosten und das Volumen der importierten Rohstoffe gestiegen sind, hat unsere Importabhängigkeit von Russland abgenommen. Seit mehr als 12 Jahren verfolgt Polen eine Strategie der Diversifizierung der Gas- und Ölversorgung. Investitionen in das LNG-Terminal Świnoujście und die Baltic Pipe-Pipeline haben unsere Position deutlich gestärkt. In den letzten Jahren sind die Kohleimporte am stärksten gestiegen. Wir schreiben in diesem Artikel ausführlich über langfristige Trends bei Kraftstoffimporten.

Derzeit wird mit 46 % knapp die Hälfte unseres Energiebedarfs durch importierte Energieressourcen gedeckt. Polen produziert 3 % des Öls, 20 % des Gases und 80 % der Kohle, die es verbraucht [2].

Kohle

Da die inländische Produktion und die Importe in den letzten Jahren aufgrund von Wirtschafts- und Angebotsfaktoren schwankten, importiert Polen etwa ein Fünftel der Kohle, die es verbraucht. Heimische Kohle wird in Kraftwerken zur Stromerzeugung und in Fernwärme verwendet. Daher sollte die Blockade von Kohleimporten keine Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung der Stabilität der Stromversorgung haben.

Der dominierende Kohlelieferant für Polen ist Russland, dessen Anteil im Jahr 2020 75 % betrug. Der größte Teil der importierten Ressource wird für lokale Heizzwecke verwendet. Bis zu 60 % gehen an Haushalte. Weitere 15 % werden an kleine Heizwerke geliefert - hauptsächlich in Ostpolen. 22 % werden von Kokereien [3] gekauft. Der Hauptgrund für den Import von Kohle sind die hohen Qualitätsparameter und die wettbewerbsfähigen Preise. Gemessen am Gesamtverbrauch russischer Kohle ist Polen aber nicht der größte Importeur dieses Rohstoffs in der EU. Polen ist jedoch führend in der EU bei der Verwendung von Kohle für die Beheizung von Haushalten. Und es sind diese Haushalte, die hauptsächlich russische Kohle konsumieren.

Die Ausstieg aus russischer Kohle in Polen würde, wenn sie richtig vorbereitet wird, wahrscheinlich die Sicherheit der Wärmeversorgung, geschweige denn der Stromversorgung, nicht gefährden. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Haushalte über Kohlereserven verfügen. Heizkraftwerke sind gesetzlich verpflichtet, Bestände für mindestens 30 Tage zu halten. Die Temperaturen sind mild, die Heizperiode neigt sich dem Ende zu. Die größere Herausforderung wird sein, im nächsten Winter eine stabile Wärme- und Stromversorgung zu gewährleisten. Im letzten Abschnitt dieses Artikels geben wir Empfehlungen, wie die möglichen negativen Auswirkungen einer plötzlichen Unterbrechung der russischen Kohlelieferungen gemildert werden können.

Gas

Polen förderte im Jahr 2020 fast 5 Milliarden Kubikmeter Erdgas, einen Großteil davon stickstoffhaltiges Gas. Die heimische Produktion macht jedoch nur ein Viertel unseres Gasverbrauchs aus, der Rest wird importiert. Derzeit stammen 55 % des nach Polen importierten Gases aus Russland. Hauptverbraucher von Gas sind die Industrie, die Haushalte und der Wärmesektor. Polen verbraucht derzeit etwa 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Die Kapazität der Gasspeicher in Polen beträgt 2,9 Mrd. m³ [4]. Das LNG-Terminal Świnoujście wurde 2016 in Betrieb genommen, seine Kapazität erreicht 5 Milliarden Kubikmeter. Es wird derzeit erweitert, wodurch die Kapazität des Terminals auf 7,5 Milliarden Kubikmeter erhöht wird.

Der Bau der Baltic Pipe Gaspipeline ist im Gange und wird voraussichtlich bis Ende 2022 abgeschlossen sein. So werden russische Lieferungen durch Gas ersetzt, das aus dem norwegischen Kontinentalschelf importiert wird. Die Kapazität dieser Verbindung wird bis zu 10 Milliarden Kubikmeter betragen, was so viel ist wie unsere derzeitige jährliche Lieferung von Gazprom.

Die Unterbrechung der Gaslieferungen aus russischer Richtung über Nacht kann eine große Herausforderung für die Industrie, den Energiesektor und die Haushalte sein. Es sei jedoch daran erinnert, dass wir im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Jamal-Vertrags über Gaslieferungen aus Russland Ende dieses Jahres aufhören werden, Gas aus dem Osten zu importieren.

Rohöl

Öl ist das primäre petrochemische Produkt, das zur Herstellung von Benzin, Kerosin, Gasölen, Paraffin, Vaseline, Asphalt und Mazut verwendet wird. Mehr als 70 % der Mineralölerzeugnisse werden im Verkehrssektor (hauptsächlich im Straßenverkehr) verbraucht, der Rest geht zu nichtenergetischen Zwecken an die Haushalte und die Industrie. Im Jahr 2000 war Polen zu 93 % von russischen Öllieferungen abhängig - derzeit sind es noch 65 % [5]. Das Volumen des importierten Öls aus Russland hat sich kaum verändert und beträgt trotz Diversifizierung immer noch über 16 Millionen Tonnen pro Jahr.

Seit mehreren Jahren haben wir Verträge mit anderen Öllieferanten unterzeichnet - Saudi-Arabien, den Vereinigten Staaten, Norwegen. Polnische Raffinerien sind bereits technisch darauf vorbereitet, andere Rohöl-Sorten als die russische zu verarbeiten. Auch hier ist wie bei Gas und Kohle eine Diversifizierung auf dem Seeweg möglich. Naftoport in Danzig, einer größten Umschlagterminals in der Ostsee, ist bereit, große Mengen aufzunehmen. Das bedeutet jedoch nicht, dass es leicht sein wird, sich vom russischen Öl zu verabschieden. Der Ölmarkt wird vom OPEC-Kartell dominiert, das im OPEC+-Format, also mit Russland, in der Lage ist, aktiveren Druck auf die Preise auszuüben als je zuvor.

Eine kurzfristige Abkehr vom Öl ist unmöglich, ohne einen großen wirtschaftlichen und sozialen Schock auszulösen. Allerdings hatte die Welt bereits in den 1970er Jahren mit einer ähnlichen Herausforderung zu kämpfen.

Zusammenfassung und Empfehlungen

Um die negativen Auswirkungen der Energiekrise auf Polen zu minimieren, ist nun dringend entschiedenes Handeln und Mobilisieren der Gesellschaft, des Energiesektors und der Industrie notwendig. Der russische Angriff auf die Ukraine hat den Kontext und die Bedingungen für das Funktionieren der Wirtschaft völlig verändert - wir alle werden die Kosten des Krieges in der Ukraine tragen müssen. Jetzt sollten eine Reihe von Maßnahmen ergriffen werden, die wir folgend in Stichpunkten als Empfehlungen vorstellen - einige haben kurzfristige Auswirkungen, andere werden sich erst mittel- oder langfristig auswirken.

Kampagne für Energieeffizienz

  • Eine landesweite Kampagne zur Förderung von Energie- und Kraftstoffeinsparungen: gerichtet auf die Öffentlichkeit [5], zum effizienten Umgang mit Wärme, Strom und Kraftstoff. Ein Gefühl der Solidarität, der Zusammenarbeit und der positiven Mobilisierung der Öffentlichkeit ist dabei wichtig.
  • Vermeidung von Fehlinformationen: regelmäßige Erhebung zuverlässiger Daten über die Bestände an Energieressourcen, die Funktionsweise des nationalen Elektrizitätssystems und der Heizkraftwerke. Information über die Lieferrichtungen und Preise von Energierohstoffverträgen. Es ist notwendig, einen Ausbruch von Panik zu verhindern, der erhebliche Störungen im System von Angebot und Nachfrage verursachen kann.
  • Energieeffizienz in Gebäuden: z. B. Austausch von Fenstern durch energieeffiziente Fenster, LED-Glühbirnen, Unterstützung für den Kauf effizienter Geräte - z. B. energieeffiziente Kühlschränke, Thermomodernisierung (kombiniert mit Ersatz von Wärmequellen), die durch besondere Zuschüsse finanziert werden.

Versorgungssicherheit

  • Durchführung von Stresstests kritischer EU-Energieinfrastrukturen.
  • Enge Abstimmung der Betriebssicherheit des Strom- und Gasnetzes mit den EU-Betreibern.
  • Zuverlässige und systematische Überprüfung und Planung des Nachschubs von Energieressourcen.
  • Vorbeugende Maßnahmen: Vorbereitung der Energieunternehmen auf Maßnahmen zur Energieabschaltung: z. B. Senkung der Temperatur im Fernwärmenetz um 2 Grad, Aktivierung der DSR (Demand Side Response, Laststeuerung) im Notfall, Vorbereitung der Stromrationierung und vorübergehende Reduzierung der Stromversorgung.

Markttransparenz

  • Chaos auf dem Brennstoffmarkt verhindern: Vorbereitung eines Plans zur Begrenzung des Absatzes von Brennstoff, Gas, Kohle.
  • Dringende Bekämpfung der EHS-Marktmanipulation: Rolle der Finanzinstitute darauf beschränken, Vermittler zwischen dem EHS-Markt und den erfassten Anlagen zu sein.

Schließung der Erzeugungslücke und Beschleunigung der Substitution fossiler Brennstoffe

  • Priorisierung der Entwicklung erneuerbarer Energien: Je mehr erneuerbare Energien im System, desto geringer der Kohle- und Gasverbrauch. Es ist dringend notwendig, die Blockade von Windkraftprojekten zu überwinden und den Ausbau von Photovoltaik weiter zu unterstützen. Das ist ein Schlüsselelement zur Verbesserung der Energieversorgungssicherheit Polens. Mobilisierung von VNOs, um die Integration erneuerbarer Energien in das Netz zu verbessern.
  • Beschleunigung der Verbreitung von Wärmepumpen: Eine Aufstockung der Subventionen vor der nächsten Heizsaison wird schnelle und konkrete Ergebnisse bringen und den Kohleverbrauch der Haushalte senken.
  • Beschleunigung der Entwicklung der Elektromobilität, um die künftige Nachfrage nach Erdölprodukten zu verringern; Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos.

Strategien

  • Dringende Ausarbeitung einer Strategie zur Dekarbonisierung der Industrie und deren Umsetzung innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens. Förderung der Energieeffizienz und des Einsatzes von Wasserstofftechnologien.
  • Fortsetzung und Beschleunigung der Diversifizierung der Erdgas- und Erdölversorgung.
  • Ausarbeitung einer polnischen Gasstrategie, die darauf abzielt, die Rolle des Erdgases in Schlüsselsektoren der polnischen Wirtschaft systematisch zu begrenzen.
  • Entscheidung über die Kernenergie in Polen.

Internationale Zusammenarbeit

  • Initiative für regionale Arbeitsgruppen, die sich aus Vertretern der Nachbarländer zusammensetzen, um die Versorgungssicherheit zu überwachen und zusammenzuarbeiten - auf Ministerebene unter Beteiligung der Europäischen Kommission und von ACER sowie ENTSO-E und ENTSO-G. Nutzung der EU-Rechtsvorschriften zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit und Solidarität bei der Gasversorgung.
  • Enge Zusammenarbeit zwischen Polen und internationalen Institutionen, um die Lage auf dem globalen Ölmarkt zu normalisieren; Stärkung des Reservesystems der Internationalen Energieagentur.
  • Einberufung einer Konferenz der Europäischen Union auf Initiative Polens, um eine strategische Diskussion über die Beschränkung der Einfuhren aus Russland durch alle EU-Länder einzuleiten.

Eine plötzliche Einstellung der Kraftstoffversorgung ist eine Schocksituation für die europäische Wirtschaft und gefährdet die Stabilität der Versorgung. Russland hat der Ukraine jedoch den Krieg erklärt und sich bewusst auf eine Konfrontation mit dem Westen eingelassen. Im Hintergrund steht unter anderem der Versuch, Russlands Position als Lieferant fossiler Brennstoffe für Europa zu behaupten. Niemand bezweifelt, dass unter normalen Umständen ein grundlegendes Umsteuern der Politik und eine Energiewende langfristiger geplant werden sollte. Doch jetzt, mit dem Krieg in der Ukraine, steht zu viel auf dem Spiel.

In Polen können die Kohleimporte aus Russland relativ schnell beendet werden, in der Gasversorgung hingegen werden mehrere Monate anzusetzen sein. Ein Umstellen der Ölversorgung auf andere Quellen stellt die größte Herausforderung dar, deshalb ist es aber bereits jetzt notwendig, schnell die Maßnahmen zu ergreifen, die mittel- und langfristig Ergebnisse bringen.

Klar ist schon jetzt, dass wir uns auf viele Monate - wenn nicht Jahre - mit sehr hohen Rohstoffpreisen einstellen müssen. Daher müssen wir die Energiewende hin zu erneuerbaren deutlich beschleunigen. Während wir uns in diesem Beitrag auf Polen fokussiert haben, muss diese Diskussion zugleich in der gesamten EU stattfinden. Mitten in der Krise, angesichts des Krieges in der Ukraine, muss die Europäische Union nun in kurzer Zeit eine neue, mutige und vor allem gemeinsame Energiestrategie entwickeln und umsetzen.


Dieser Artikel wurde erstmals am 28. Februar 2022 veröffentlicht, mit Genehmigung des Forum Energii und mit freundlicher Unterstützung des Warschauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung neu aufgelegt. Die Autorinnen danken Piotr Kleinschmidt und Tobiasz Adamczewski für die Zusammenarbeit.


[1] Reuters

[2] Basierend auf CSO-Daten, 2021: Importabhängigkeit = Importe/Inlandsverbrauch

[3] Basierend auf IDA-Daten, 2021

[4] Die Ukraine hat ihre Gasversorgungsrichtungen in zwei Jahren diversifiziert. Nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 hat sie seit 2016 kein russisches Gas mehr gekauft.

[5] Forum Energii