Folge #02 | Ein Spaziergang im Süden
Katharina Nocun ist Publizistin sowie Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin. Gemeinsam mit Pia Lamberty schrieb sie die Bücher True Facts: Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft. und Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Am 30.09. erschien ihr aktuelles Buch Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik.
Wir sprachen mit ihr darüber, wer bei der „Querdenken“-Bewegung eigentlich mitläuft, warum Menschen sich von dieser Bewegung angezogen fühlen und was sie gemeinsam haben.
Transkript
Carmen Romano: Heute geht es bei uns richtig los, denn wir haben unser erstes Interview. Wir haben letzte Woche schon mehrmals betont: in diesem Podcast geht es darum, dir einen Einblick zu verschaffen, wie die Leute ticken, die bei den Querdenken-Demos mitlaufen, was für Geschichten und Strukturen dahinterstecken und wie man mit diesen Menschen vielleicht wieder reden kann. Denn viele von euch haben eine Spaltung der Gesellschaft im eigenen Umfeld erlebt und wir möchten zum Verständnis und zur Aufklärung beitragen. Wir fragen uns also heute: Wer läuft mit? Wie kann man grundsätzlich an Verschwörungsmythen glauben und warum ist das Ganze gar nicht witzig?
Sabine Demsar: Du hörst eine neue Folge von „Ein Spaziergang im Süden“, ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung über die Querdenken-Bewegung in Süddeutschland, ihre Entwicklung und was es für uns alle bedeutet.
Carmen Romano: Heute reden wir mit Katharina Nocun. Sie ist Publizistin, Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin. Gemeinsam mit Pia Lamberty schrieb sie die Bücher „True Facts: Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft“ und „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Am 30. 09., also nur vor ein paar Wochen, erschien ihr neues Buch „Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“. Und sie hat ihren eigenen Podcast „Denkangebot“, den wir übrigens sehr herzlich empfehlen. Heute sprechen wir mit ihr darüber, wer bei der Querdenken-Bewegung mitläuft, warum Menschen sich davon angezogen fühlen und was sie gemeinsam haben.
Sabine Demsar: Herzlich willkommen, liebe Katharina Nocun, ich freue mich sehr, dass du da bist. Stell dir vor, uns hört jemand, der oder die von der Querdenken-Bewegung noch nie gehört hat. Wie würdest du diese Bewegung beschreiben? Wer läuft mit bei den Demos oder fährt in den Autokorsos, die wir auch erlebt haben?
Katharina Nocun: Ja, zunächst einmal würde ich gar nicht glauben wollen, dass es jemanden gibt, der noch nie davon gehört hat. Da muss man schon so ein bisschen in der Erdhöhle gelebt haben in den letzten zwei Jahren. Und man muss sagen, selbst vor der Pandemie war es ja so, dass die meisten im Freundeskreis, im Familienumfeld, irgendjemanden haben, der an Verschwörungsgeschichten glaubt. Also beispielsweise Onkel Werner, der dann an Weihnachten gerne mal über Nine Eleven irgendwelche langatmigen Vorträge hält oder irgendjemand im Freundeskreis, der einem merkwürdige YouTube-Links zuschickt. Also eigentlich würde ich schon sagen, dass die meisten wissen, worüber man spricht, wenn man über Verschwörungserzählungen spricht. Was aber vorher, also vor Corona, vielen nicht so klar war, ist, dass es da wirklich eine stabile Szene gibt. Also dass es nicht nur einzelne Leute gibt, die komische Dinge glauben, sondern dass es in dieser Szene wirklich Influencer gibt, die miteinander vernetzt sind, die gemeinsam zu Events aufrufen. Für uns war der Beginn der Pandemie, als diese Hygiene-Demos begonnen haben und später dann Querdenken entstanden ist, eine ganz interessante Zeit, weil wir uns diese Gruppierungen auch vor der Pandemie schon angeschaut haben. Querdenken gab es nicht, aber einzelne Akteure, die in diesem Umfeld sehr umtriebig waren, die auch auf Querdenken-Bühnen gesprochen haben, also beispielsweise Ken Jebsen, der war ja vorher kein unbeschriebenes Blatt und das war ganz interessant zu sehen, dass viele Stars der Szene da sofort auf den Zug aufgesprungen sind und auch, sage ich mal, ihre Reichweite in dieser Zeit sehr stark ausbauen konnten.
Insgesamt kann man eine Verschwörungserzählung in etwa so definieren, dass man damit eine Annahme über die Welt beschreibt. Man geht davon aus, es gebe eine Verschwörung von Einzelpersonen oder eine Gruppe von Menschen, die sich im Geheimen verabredet haben, um der Welt zu schaden. Das heißt, man sagt nicht, da hat irgendjemand Mist gebaut, im politischen Sinne, wusste es nicht besser, inkompetent, Korruption, was auch immer, sondern man sagt auch wirklich, dieser jemand hat eine Schadensabsicht anderen gegenüber. Bei einem verschwörungstheoretischen Weltbild ist es eben so, dass Menschen auch tatsächlich, ja man kann schon fast sagen, hinter allem und jedem eine Verschwörung vermuten und sich das so ausgestalten kann, dass sich unterschiedliche Verschwörungserzählungen wie zu einem Flickenteppich verbinden. Interessant ist an der Stelle auch, dass es wissenschaftliche Befunde gibt, und zwar mehrere Studien, die gezeigt haben, dass Leute aus dieser Szene teilweise Dinge glauben, die sich gegenseitig ausschließen. Also ein Beispiel: es gab eine Studie nach dem Tod von Prinzessin Diana, sie ist ja bei einem Autounfall gestorben, sie wurde von Paparazzi gejagt und das Auto ist verunglückt. Dann wurde in dieser Studie gefragt: „Glauben Sie an Verschwörungserzählungen?“, es gab unterschiedliche zur Auswahl, und die Forscher haben festgestellt, es gab eine gar nicht so kleine Gruppe von Leuten, die haben geglaubt, dass Prinzessin Diana bei dem Autounfall gar nicht ums Leben gekommen ist, sondern, ich weiß nicht, insgeheim irgendwo auf einer Südseeinsel oder so ihre Cocktails schlürft und das nur gefaked hat. Und gleichzeitig haben diese Menschen aber geglaubt, der britische Geheimdienst hätte sie ermordet, der hätte diesen Unfall irgendwie eingefädelt.
Das haben wir eben auch bei Untersuchungen zu Corona gesehen, dass beispielsweise Leute gesagt haben, sie glauben, dass das Virus absichtlich als gefährlicher dargestellt wird, als es eigentlich ist, dass also sozusagen übertrieben wird aus irgendwelchen Gründen und das eigentlich ganz harmlos sei. Und gleichzeitig haben Menschen aber geglaubt, dass Corona ein Plan zur Bevölkerungsreduktion sei, bei dem man davon ausgeht, dass diese Erkrankung irgendwie erfunden wird, um Menschen langfristig sehr stark zu schaden. Da muss man sagen, das schließt sich gegenseitig schon aus, aber Leute glauben das dann teilweise trotzdem.
Carmen Romano: Ich glaube, man kann sich bei diesem Thema einfach nicht mit Logik auseinandersetzen, das ist ganz schwierig und nicht nachvollziehbar. Deswegen vielleicht, um es ein bisschen besser zu verstehen, wie ticken denn die Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben? Was haben all diese Menschen gemeinsam? Also ich habe mehrere Theorien darüber gehört, die das Anhängen an gewisse Verschwörungstheorien erklären, beispielsweise von dem Bedürfnis nach Einzigartigkeit bis hin zum Kontrollverlust oder der Angst in Krisenzeiten. Was stimmt genau zwischen all diesenTheorien oder ist es im Endeffekt einfach eine Mischung davon? Gibt es unterschiedliche Gründe für unterschiedliche Menschen?
Katharina Nocun: Also die Wege in die Szene sind ganz unterschiedlich. Es gibt Leute, die kommen auf diesen Demos eher aus dem rechtsextremistischen Milieu, es gibt auch eine gar nicht so kleine Gruppe, die kommt eher aus Esoterik-affinen Milieus. Das Interessante ist, es gibt tatsächlich auch Untersuchungen und repräsentative Studien, beispielsweise darüber, wer Anfang des Jahres 2022 auf den Straßen war. Darüber, wer bei diesen verschwörungsideologischen Protesten mitgelaufen ist, die in den Medien auch gerne als Spaziergänge dargestellt wurden, eine sehr verniedlichende Wortwahl für doch teilweise auch gewaltbereite Proteste, muss man sagen. Da gab es eine repräsentative Studie, die hat erstmal festgestellt, was für eine Parteien-Affinität es da bei den Leuten gibt. Da hat man festgestellt, dass 59,4 % der Leute, die eine hohe Protestbereitschaft haben, die also sagen, ich würde zu solchen Demos hingehen, würden auch sagen, sie wählen AfD. Nur mal zum Vergleich, bei den Grünen ist es tatsächlich die niedrigste Rate aller Parteien, da sind es nämlich nur 7,0 % der Leute mit einer hohen Protestbereitschaft, die sagen, sie würden Grüne wählen. Bei der FDP sind es 16,2%, bei der Linken 17,4%, SPD 8,4% und CDU/CSU 10,5%. Und dann gab es Diskussionen darüber, ob man das überhaupt verschwörungsideologische Proteste nennenkann. Vielleicht sind es ja nur ein paar Leute in der letzten Reihe, die komische Plakate hochhalten und eigentlich sind es ganz normale bürgerliche Leute, die gar nichts Merkwürdiges glauben. Aber auch da hat sich die Studie angeschaut: Was glauben diese Leute? Und da gab es wirklich erschreckende Ergebnisse, da gab es unterschiedliche Aussagen, die abgefragt wurden, „stimmen Sie dem zu oder stimmen Sie dem eher nicht zu“. Dann hat man es unterteilt in die Gruppen der hohenProtestbereitschaft, der weniger hohen Protestbereitschaft und keiner Protestbereitschaft. Ein Beispiel: es gab die Aussage, Zitat, „die aktuellen Corona-Maßnahmen und die Politik sind mit der Zeit des Nationalsozialismus vergleichbar“, also Klartext, leben wir in einer Diktatur? 37,6 % der Leute mit einer hohen Protestbereitschaft haben bei dieser Frage ja gesagt, sie empfinden das so. 53,8 % haben gesagt, sie stimmen der Aussage zu, das Virus wird absichtlich als gefährlich dargestellt, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Sprich es gibt eine Verschwörung, Medien und Medizin, eigentlich ist das gar nicht so schlimm, sollen die sich mal nicht so anstellen. Es gibt aber auch noch krassere Aussagen. Beispielsweise, Zitat, „die Covid-19 Impfungen wurden in die Welt gebracht, um die Bevölkerungsanzahl zu reduzieren“. Also wirklich Leute, die glauben, das ist ein großer Plan, um Menschen umzubringen. 26,9 % der Leute, die eine hohe Protestbereitschaft in Bezug auf die Demos im Frühjahr hatten, sagen ja, sie stimmen dieser Aussage zu. Von daher muss man ganz klar sagen, das sind nicht so ein paar Leute, die durch Verschwörungsideologen mobilisiert wurden, sondern das spielt eine immense Rolle da.
Und zu der Frage, warum Leute solche Geschichten anziehend finden, hast du eigentlich die wichtigsten Stichpunkte auch schon vollkommen richtig zusammengefasst. Es gab psychologische Studien, die haben sich angeschaut, warum verfängt das bei einigen Leuten so gut? Warum finden die das anziehend? Ein sehr eindeutiger Befund, da gab es gleich mehrere Untersuchungen dazu, ist, dass einige Menschen in Kontrollverlustsituation scheinbar anfälliger dafür werden, solche Geschichten für attraktiv zu halten. Das ist auf den ersten Blick überhaupt nicht einleuchtend, weil man denkt „hey, wenn es dir schon scheiße geht, warum willst du dann an solche Horrorgeschichten glauben, die dir ja wirklich ein ganz schlimmes Bild in Bezug auf die Zukunft zeichnen?“ Aber auf abstrakter Ebene macht das Sinn, denn diese Leute denken dann „ja, der Plan ist nicht schön, den ich da sehe, den ich glaube zu sehen. Aber wenigstens gibt es einen Plan und ich kenne ihn. Es gibt vor allem klare Schuldige, die ich benennen kann“. Das ist auf psychologischer Ebene für einige Leute unglaublich anziehend, in Krisensituationen sowohl einen Sündenbock zu haben, als auch das Gefühl zu haben, man habe zumindest ein bisschen Orientierung und fühlt sich nicht dem Chaos ausgeliefert. Was auch eine Studie gezeigt hat, ist, dass Menschen, die ein sehr starkes Bedürfnis nach Einzigartigkeit haben, ein bisschen anfälliger zu sein scheinen. Das macht auch intuitiv Sinn, weil solche Verschwörungserzählungen, die gehen mit einem besonderen Selbstbild einher. Also wenn jemand, der so sehr an Verschwörungserzählungen glaubt, durch die Brille dieser Ideologie in den Spiegel schaut, dann sieht er jemanden, der den Durchblick hat, der gegen das System ist, der kein Schlafschaf ist, der sich nicht von den „Systemmedien“ einlullen lässt. Das heißt, es sind auch Geschichten, die vermitteln einem das Gefühl „ich bin ganz schön besonders im Vergleich zu meiner Umwelt“. Das erklärt vielleicht manchmal auch, der eine oder andere wird es aus dem Familien- oder Freundeskreis kennen, man argumentiert dagegen und man hat das Gefühl, den anderen stört das gar nicht, dass nicht alle derselben Meinung sind, sondern der blüht sozusagen auf. Und das kann ein bisschen durch diesen Zusammenhang erklärt werden, dass gerade dann, wenn dieses Gefühl der Besonderheit, „ich bin anders als die anderen, ich bin besser, ich habe mehr den Durchblick, bin vielleicht sogar erleuchtet“, dass das da eine Rolle spielen kann. Was aber natürlich auch eine Rolle spielen kann, sind unterschiedliche Persönlichkeitseigenschaften, also beispielsweise ein Effekt von kollektivem Narzissmus kann eine Rolle spielen, weil Verschwörungserzählungen dazu geeignet sind, sich und auch die zugehörige Gruppe, beispielsweise die politische Gruppe oder wie auch immer, gegenüber anderen aufzuwerten. Und das macht diese Geschichten dann gerade in solchen Kontexten unglaublich attraktiv. Man muss aber sagen, das sind Studien, in denen es eben um Durchschnittswerte geht. Das heißt nicht, dass das bei jedem Einzelfall eine Rolle spielen kann. Man darf natürlich nicht vergessen, deshalb habe ich eingangs nochmal diese Studie zitiert, weil ich sie unglaublich spannend finde, Verschwörungstheorien werden systematisch in der rechtsextremen Szene zur Mobilisierung eingesetzt. Und ich würde tatsächlich auch so weit gehen, dass einige der führenden Köpfe dieser Szene gar nicht selbst an die Geschichten glauben, zumindest einige, sondern sagen, die sind einfach nützlich als Radikalisierungsbeschleuniger.
Carmen Romano: Das ist sehr spannend. Kannst du uns auch den Link zu dieser Studie schicken? Dann können wir sie in den Shownotes verlinken.
Katharina Nocun: Klar, das ist von CeMAS aus dem März 2022. Da ist meine Koautoren Pia LambertyGeschäftsführerin, gemeinsam mit Josef Holnburger, er ist Data Scientist, das heißt, er guckt sich auch viel an, was auf Telegram passiert. Sie haben da wirklich eine repräsentative Studie in Auftrag gegeben, die sich auf ganz Deutschland bezieht. Es gibt Unterschiede in Bezug auf die Bundesländer und es gibt auch Unterschiede in Bezug auf Ost-West. Da muss ich aber sagen, das habe ich gerade nicht im Kopf.
Carmen Romano: Wir werden dann einfach die Studie in die Shownotes reinpacken, falls jemand mal stöbern und sich weiter informieren möchte. Aber danke für den Hinweis, denn das erklärt auf jeden Fall, wie schwierig es ist, alles so korrekt und repräsentativ wie möglich zu halten. Sabine, du hattest noch eine Frage dazu.
Sabine Demsar: Genau, was eine Person dazu bringt, an Verschwörungsmythen zu glauben, aber das hast du ja eigentlich schon ausgeführt.
Ich würde gerne noch einen Schritt zurück gehen und die Begrifflichkeiten nochmal klären, weil wir so oft von unterschiedlichen Begriffen hören: Verschwörungsideologie, Verschwörungstheorie, Verschwörungsmythen, Verschwörungsglauben. Was verwendest du, verwendest du verschiedene, und was sind da die wichtigsten Begrifflichkeiten, um das ein bisschen klarer zu bekommen?
Katharina Nocun: Ich habe in den letzten zwei Jahren gelernt, dass einige Menschen in Bezug auf die Wortwahl sehr starke Emotionen haben bzw. sehr starke Präferenzen. Ich muss sagen, ich bin da gar nicht so, dass ich sagen würde, „du darfst diesen Begriff nicht verwenden“, ich habe einfach für mich entschieden, dass ich den Begriff Verschwörungserzählungen oder Verschwörungsmythos, Verschwörungsideologie, gerade im rechtsextremen Kontext, besser finde. Also hierzu muss man sagen, da gab es auch vor Corona schon eine Debatte in Teilen der Zivilgesellschaft, also auch vor allem von NGOs, die haben darüber diskutiert. Denn dieser Begriff Verschwörungstheorie beinhaltet das Wort Theorie und eigentlich werten wir damit Dinge auf, die alles Mögliche sind, aber eben keine Theorien. Ich finde, gerade auch im Kontext von Rechtsextremismus, aber nicht nur,ist einfach der Begriff Verschwörungsideologie schon treffender, denn da geht es um ein in sich geschlossenes Gedankengebäude. Das ist eine Ideologie, die da Anhänger um sich schart. Von daher finde ich den Begriff einfach treffender. Aber ich finde es auch vollkommen okay, wenn Leute sagen, sie finden den Begriff ungewöhnlich oder sind eher Verschwörungstheorie gewöhnt, ich finde, das muss jeder für sich entscheiden.
Sabine Demsar: Das ist schon mal gut zu wissen. Und Ideologie passt ja auch letztlich zu dem, was du gesagt hast und dass esoft auch einfach nur instrumentalisiert wird von denen, von den Machern sozusagen, um Menschen zu manipulieren. Michael Butter betont in seinem Buch „Nichts ist, wie es scheint“, dass Verschwörungsideologien, er verwendet -theorien, bis vor dem Zweiten Weltkrieg als, Zitat, „vollkommen legitime Wissensformen“ galten. Es war normal, an sie zu glauben, die Grundannahmen wurden nicht hinterfragt. Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie von 2020 glauben zwei Drittel der Deutschen nicht an Verschwörungstheorien. Das heißt, dass es mittlerweile eine breite Öffentlichkeit gibt, die Verschwörungstheorien nicht mehr als normal ansehen. Jetzt aber sind sie besonders, fallen auf und erhalten dadurch auch mehr Aufmerksamkeit, vor allem in den sozialen Medien, denn über das Besondere wird ja eher berichtet und geredet. Dr. Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, sagte in einem Interview, Zitat, „dass Menschen Antisemitismus verbreiten, ohne sich tatsächlich darüber im Klaren zu sein“. Heißt das, ein bisschen provokant gefragt, es ist alles gar nicht so schlimm, denn wir sind ja eigentlich auf einem guten Weg, da immer weniger Menschen an Verschwörungstheorien, antisemitische Verschwörungstheorien glauben und diese verbreiten. Wie siehst du das?
Katharina Nocun: Also mir wären keine repräsentativen Studien von vor dem Zweiten Weltkrieg bekannt, mit denen man da wirklich gut vergleichen könnte, wie sich die Lage denn entwickelt hat. Man darf nicht vergessen, dieses Narrativ einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung, das hat sehr wahrscheinlich die Mehrheit der Bevölkerung zu NS-Zeiten geglaubt und das hat sich ja nicht nur auf Deutschland beschränkt. Also viele wissen beispielsweise nicht, dass Henry Ford ein glühender Antisemit war, der hat antisemitische Bücher, teilweise auch im Rahmen seiner Unternehmung, an Leute herausgegeben. Hitler hat sich auch lobend über ihn geäußert. Ich würde aber trotzdem bestreiten, dass Verschwörungserzählungen vor dem Zweiten Weltkrieg eine anerkannte Wissensform waren, absolut. Also es gab doch vor dem Zweiten Weltkrieg zum Glück auch Leute, die gesagt haben, dass sie antisemitische Verschwörungserzählungen für hochproblematisch halten. Sie haben vielleicht nicht so häufig den Begriff Verschwörungstheorie verwendet, sie haben das vielleicht inhaltlich kritisiert, aber dass das jetzt ein anerkanntes Wissen in der Gesamtbevölkerung war, würde ich erstmal bestreiten. Bestimmte Narrative zur NS-Zeit, ja, aber ich bin sehr froh, dass es damals eben auch Leute gab, die gesagt haben „nein, da gehe ich nicht mit“. Es gab aber damals, glaube ich, nicht so die wissenschaftliche Auseinandersetzung, dass man das als ein Phänomen betrachtet hat, also diese Art zu argumentieren, diese Art, eine Welt aufzubauen, auch diese Neigung auf psychologischer Ebene, hinter allem eine Verschwörung zu sehen und zu denken, alles hängt zusammen, da war die Forschung einfach noch nicht so weit. Da muss ich sagen, finde ich das eine große Bereicherung, dass wir mittlerweile ganz anders über das Thema Verschwörungserzählungen sprechen, über Verschwörungsideologien sprechen, es als gezieltes Instrument zur Radikalisierung gerade auch von autoritären Parteien und Akteuren betrachten und nicht mehr als eine harmlose Gruselgeschichte oder als etwas, das immer nebenbei mitschwingt, aber vielleicht nicht essenziell ist. Ich glaube, das hat sich verändert. Aber ja, mir fehlen die Zahlen, um jetzt sagen zu können, Verschwörungserzählungen waren damals als Wissen anerkannt. Den Begriff der Verschwörungstheorie, den gab es schon vorher, auch im englischsprachigen Raum, conspiracy theory, da finden sich eben auch schon vor über hundertJahren Publikationen, in denen das verwendet wird, beispielsweise in Bezug auf dubiose Theorien, auf ungelöste Kriminalfälle. Man kann sich eigentlich auch sicher sein, dass der Begriff der Verschwörungstheorie auch immer so ein Geschmäckle hatte, von wegen, das ist Wissen, aber ob das jetzt Wissen ist, das auf einer Ebene mit dem, was wir im Lexikon lesen können, steht, das würde ich erstmal bezweifeln. Aber ich denke auch nicht, dass Herr Butter das so auslegen würde.
Carmen Romano: Ja, danke! Ich finde es spannend, zu hören, wie sich dieses Bewusstsein geändert hat und auch die Aufmerksamkeit darauf. Und ich frage mich, wie es sich dann in die Zukunft weiterentwickeln wird, ob mehr Bewusstsein auch mehr Wissen bedeutet, sagen wir mal, darüber, wie man diesen Theorien oder Ideologien entgegentreten kann.
Aber fokussieren wir uns jetzt auf die Erfolgsfaktoren, die zu der Verbreitung von Verschwörungsmythen beitragen. EinAspekt, der uns wahrscheinlich diese gesamte Podcast-Reihe begleiten wird, ist die Rolle von alternativen Medien im Diskurs. In der Vorbereitung für diese Folge habe ich auch ein bisschen die Webseiten der Bewegung in Bayern angeschaut, auf denenwörtlich ein Teil davon war, für alternative Medien zu werben. Wie kann man dagegenhalten? Bzw. ist es überhaupt möglich,deren Verbreitung zu stoppen oder zu mindern? Denn, ich meine, mit dem Internet kann man alles überall hinschicken und wenn man zum Beispiel auf Twitter blockiert wird, gibt es immer noch tausende unterschiedliche Kanäle wie Telegram, Discord, und so weiter, auf denen man es weiterhin verbreiten kann.
Katharina Nocun: Also zunächst einmal muss ich sagen, ich finde den Begriff alternative Medien mittlerweile total schwierig, denn zu meiner Studienzeit meinte man mit alternativen Medien eher einen nichtkommerziellen Blog oder spendenfinanzierte,neue Modelle. Und mittlerweile sind das, was wir in diesem Gespräch mit alternativen Medien meinen, eigentlich unseriöse Falschmeldungs-Schleudern, kann man eigentlich sagen. Der Begriff der alternativen Medien ist ein selbstgewählter Begriff der Szene, deshalb finde ich den tatsächlich schwierig und will das Kind an der Stelle dann lieber beim Namen nennen, das sind Verbreiter von Falsch- und Desinformationen.
Wie kann man die Verbreitung stoppen? Also zunächst einmal muss man sagen, wir leben in einer Demokratie und jeder ist frei, ziemlich absurde Dinge zu glauben, bis hin zu „es gibt eine Verschwörung und die Erde ist eigentlich flach“, auch das gibt es eben in diesem Spektrum, wenn man sich extreme Ausprägungen von Verschwörungsglauben anschaut. Ich denke, das was für eine gesellschaftliche Debatte erstmal wichtig wäre, ist, anzuerkennen, dass Verschwörungserzählungen nachhaltig Schaden am Fundament der Demokratie anrichten können. Denn in diesen Geschichten, egal ob es jetzt zum Thema Gesundheit ist, wo die Rede von der bösen Schulmedizin ist, die angeblich die guten Alternativmediziner unterdrücken wollen, oder aber ob es jetzt um Corona geht, da ist immer so ein gemeinsamer Nenner. Dieser gemeinsame Nenner ist, du kannst denen da oben nicht vertrauen, mehr noch, du musst ihnen misstrauen, mehr noch, sie haben eine bösartige Absicht gegen dich. Und da muss man sich fragen: wie wollen wir als Gesellschaft funktionieren, wenn ein Teil der Bevölkerung beispielsweise sagt, er vertrautwissenschaftlichen Studien und wissenschaftlichen Institutionen per se nicht, sieht diese als Teil der Verschwörung an, oder aber misstraut systematisch allen möglichen Medien, außer denen, die ein Influencer nennt und das wechselt dann vielleicht auch über eine Zeit, je nachdem, was für eine Meinung er hat. Das sind Strukturen, in denen Menschen auch sehr manipulationsanfällig werden, weil sie sich an dem orientieren, was ein Anführer, eine Gruppe oder entsprechende Falschmeldungs-Schleudern dann verbreiten. Es ist extrem schwierig, Leute da wieder rauszuholen. Jeder, der so einen Fall im Umfeld hat, kennt das. Spätestens dann, wenn die Schwelle überschritten ist, dass jemand der Wissenschaft beispielsweise systematisch misstraut, dann kannst du ja nicht mal mehr mit Studien argumentieren, dann kannst du auch nicht sagen, „das ist ein Fakt“, sondern dann sagt der andere „ich habe meine eigenen, alternativen Fakten“, wo man sagen muss, so funktioniert die Welt aber nicht. Also wenn ich sage, der Himmel ist blau, dann kannst du nicht sagen, der Himmel ist grün, sondern wir sollten beide zum Fenster gehen und rausgucken und wenn der Himmel blau ist, dann musst du sagen, ist halt nicht. Aber das funktioniert an der Stelle nicht mehr. Und weil es so schwierig ist, Leute da wieder rauszukriegen, finde ich, ist Prävention unglaublich wichtig. Also ich kann mich daran erinnern, in meiner Schulzeit, da gab es einen Block im Religionsunterricht über Sekten und da haben wir sehr viel über Okkultismus gesprochen, aber auch sektenähnliche Gruppierungen wie beispielsweise Scientology und ich fand das wirklich wertvoll für mich, denn man lernt da super viel darüber, wie Menschen oder Gruppen einen manipulieren können. Auf welche Knöpfe muss man drücken, damit du ein starkes Gruppengefühl erlebst? Was sind vielleicht Strategien, um zu verhindern, dass Leute aus solchen ausbeuterischen Gruppen aussteigen? Wie solltest du lernen, Grenzen zu ziehen? Was sind Frühwarnzeichen, bei denen du hellhörig werden solltest? Und ich finde, etwas ähnliches sollte es in Bezug auf Verschwörungserzählungen geben, dass man beispielsweise weiß, in Krisensituationen sind einige Menschen anfälliger, dass Leute wissen, das setzt an psychologischen Mechanismen an, wie beispielsweise diesem Gefühl, sich besonders zu fühlen. Wenn ich das mal gehört habe oder gelernt habe, dann reflektiere ich mich vielleicht in der Situation oder kann frühzeitig eingreifen, wenn im Umfeld ein Radikalisierungsprozess stattfindet. Man muss sagen, am Anfang kann man noch super mit Faktenchecks arbeiten, nur, wenn man zu lange wartet, dann wird es schwierig. Ich fände es ganz wichtig, dieserPrävention einen viel höheren Stellenwert zu geben, bzw. auf gut Deutsch gesagt, da ordentlich Geld reinzubuttern, weil das viel weniger aufwendig ist, als Leute aus solchen Strukturen rauszuholen. Es gibt Beratungsstellen, da können sich Angehörige hinwenden, wenn sie sagen, beispielsweise, „Mein Mann, seit Corona ist der so in seinem eigenen Film und wir streiten uns nur noch. Und das ist auch schwierig auf der Arbeit, denn er will nicht Maske tragen“. Solche Fälle melden sich dann beispielsweise bei der Sekteninfo Nordrhein-Westfalen. Man muss sich das wirklich vorstellen, das sind mehrmonatige Beratungsprozesse, in denen Leute dann immer wieder anrufen, Tipps bekommen. Da argumentiert man dann auch nicht mehr inhaltlich, sondern man guckt sich eher an, welches Bedürfnis wird dadurch wahrscheinlich befriedigt und wie kann ich dem den Nährboden abgraben? Also wie kann ich dieses Bedürfnis auf gesunde Art und Weise befriedigen? Und so kriegt man die Leute da raus.
Ich glaube, es ist tatsächlich utopisch zu sagen, wir kriegen Verschwörungserzählungen aus der Welt oder aus dem Internet. Schon vor dem Internet, zur NS-Zeit, wie gesagt, hat die Mehrheit der Bevölkerung an so etwas geglaubt und das ganz ohne Facebook und TikTok. Bei vielen Entwicklungen, die nicht so positiv sind in Bezug auf unsere Gesellschaft, habe ich manchmal das Gefühl, wir selbst neigen auch so ein bisschen dazu, gerne einen Sündenbock finden zu wollen, weil es natürlich viel angenehmer ist zu hören, das liegt alles an den sozialen Medien und eigentlich ist der Mensch nicht so. Aber wenn wir uns die Geschichte anschauen, muss man sagen, der Mensch ist in vielen Aspekten nicht ganz so cool, wie wir es gerne hätten. Und Verschwörungserzählungen, die sind attraktiv, sowohl für Einzelpersonen in bestimmten Situationen als auch natürlich für politische Gruppierungen, die das für sich ausnutzen. Man muss aber sagen, dass natürlich soziale Netzwerke auch eine Rolle spielen, sie können das befeuern. Ich glaube, sie tun das auch. Sie sind aber eben nicht der einzige Faktor. Das ist mir wichtig. Es gab unterschiedliche Forschende, die haben lange Zeit, viele Jahre vor Coruna, schon gewarnt, dass beispielsweise der Empfehlungs-Algorithmus bei YouTube dazu neigt, Leute wirklich in so ein Verschwörungs-Kaninchenloch zu schicken. Das heißt, wenn jemand ein Video von einem bekannten Verschwörungsideologen, zum Beispiel Alex Jones, geschaut hat, dann hat der Algorithmus weiter ähnliche Videos vorgeschlagen, weil er darauf optimiert ist, dass Leute möglichst lange am Bildschirm bleiben, weil man dann mehr Werbung schalten kann als Unternehmen. Das bedeutet dann aber auch, dass Leute mit immer mehr Verschwörungserzählungen gefüttert werden. Also ein Mechanismus, der beim Thema Sport oder kochen total harmlosist, ist in einem politischen Kontext manchmal extrem toxisch. Vor allem, weil der Algorithmus oft auch dazu geneigt hat, immer krassere Sachen fortzusetzen. Das ist auch etwas, damit kann man Menschen gut ködern, wenn immer noch einer draufgesetzt wird und es immer krasser wird, bleiben wir länger an der Mattscheibe. Mittlerweile muss man sagen, haben große Plattformen eingestanden, dass es da ein Problem gibt. Einige Akteure wurden deplatformed, das heißt, von der Plattform geschmissen. Gleichzeitig sehen wir aber, du hast es schon gesagt, Telegram, man sucht sich dann eben seine Ausweichmedien. Aber mir ist es lieber, dass solche Leute auf Telegram sind statt auf YouTube oder Facebook, weil es natürlich viel einfacher ist, so in die Mitte oder vielmehr die Breite der Gesellschaft zu diffundieren, wenn man nur einen Klick entfernt ist vom Koch-Video oder der Mode-Influencerin. Also so viele Leute haben in Deutschland immer noch nicht Telegram und das hat ja auch in manchen Kreisen zumindest so ein bisschen ein Geschmäckle.
Man kriegt es, glaube ich, nicht aus der Welt. Was ich aber wichtig finde, ist, sich klarzumachen, wir leben in einer Demokratie, jeder kann jeglichen Unsinn glauben, den er will. Aber in dem Moment, wo man beispielsweise zu Gewalt aufruft, wo man Lügen über Menschen oder Institutionen verbreitet, wo man medizinische Falschinformationen verbreitet, die wirklich gefährlich werden können, also beispielsweise auf Telegram wird ja empfohlen, Bleiche zu trinken gegen Corona und Leute diskutieren da, wie viel sie ihren Kindern geben sollen, da muss man einfach sagen, da haben die Strafverfolgungsbehörden aus meiner Sicht im ersten Jahr der Pandemie rigoros gepennt und da hätte viel mehr passieren müssen. Es passiert langsam auch mehr. Man muss sagen, dass der Verfassungsschutz mittlerweile auch weite Teile dieser Gruppierung als problematisch einstuft. Und gleichzeitig muss man sagen, dass auch dieser Prozess nicht immer nur positiv ist. Beispielsweise gibt es jetzt eine neue Kategorie bei den politisch motivierten Straftaten. Da gibt es jetzt einen extra Tatbestand, der auf die verschwörungsideologische Szene passt, was dazu führt, dass aber viele Straftaten aus diesem Milieu, die von eindeutig rechtsextrem motivierten Leuten verübt werden, dann in dieser Kategorie landen und nicht mehr in der Kategorie derrechtsextremen Gewalt. Das halte ich für ein Problem, weil das natürlich auch beeinflusst, wie die Politik dann gesellschaftliche Verhältnisse wahrnimmt oder welche Gruppen als Problem gesehen werden und ob Rechtsextremismus als Problem erkannt wird. Also wie gesagt, deshalb habe ich eingangs die Studie mitgebracht, weil mir das immer sehr wichtig ist, sich die Zahlen anzuschauen, also dass über 50 % der Leute, die eine hohe Protestbereitschaft bei diesen Demos hatten, die wählen AfD. Muss man an der Stelle ganz klar sagen. In einigen Städten hatten wir in der ersten Reihe gewaltbereite rechtsextreme Kampfgruppen, die wirklich auf Krawall mit der Polizei aus waren und die wurden vom Rest der Demo nicht als Problem gesehen, sondern beklatscht.
Carmen Romano: Klar, das ändert komplett die Statistiken, anhand derer man dann Politik macht oder Entscheidungen trifft.
Ein Schritt zurück zu diesen Beratungsstellen: in unsere allerletzte Folge dieser Podcast-Reihe haben wir die Leiterin der Beratungsstelle in Baden-Württemberg eingeladen, um uns ganz praktische Argumentationstipps geben zu lassen, für Leute in unserem Umfeld, die davon betroffen sind. Dafür müsst ihr aber bis Mitte Dezember warten…
Katharina Nocun: Lohnt sich also!
Carmen Romano: Ja, es lohnt sich. Und das Thema Verfassungsschutz und was diese neuen Kategorien bedeuten, betrachten wir außerdem auch in der nächsten Folge mit Nadine Frei.
Aber ich finde es total spannend, wenn man von der Suche nach einem Sündenbock redet, dass man sieht, dass auch, sagen wir mal, die Menschen, die gerade nicht an Verschwörungserzählungen glauben, dann doch einen Sündenbock gesucht haben, warum das alles so schiefgeht, und zwar die sozialen Medien. Also wie du auch vorher gesagt hast, es ist menschlich, manche Mechanismen sind einfach menschliche und wir sollten uns auf die Fälle konzentrieren, die Konsequenzen haben und vor allem für Leute, die gewaltbereit sind, eine Lösung finden.
Kommen wir zum Ende dieser Folge. In deiner Podcast-Folge zu QAnon hast du erzählt, wie es dich nervt, wenn dich Leutein Interviews nach deiner Lieblings-Verschwörungstheorie fragen. Kannst du uns erklären, warum das gar nicht witzig und eigentlich ernst zu nehmen ist? Du hast das schon mit dem Fallbeispiel der Bleiche ein bisschen erzählt, aber so ein letztes Wort dazu. Danke.
Katharina Nocun: Ja, das war eigentlich immer so die Standard-Interviewfrage, „zum Abschluss noch was Lockeres, was ist Ihre Lieblingsgeschichte?“. Irgendwann konnte ich es einfach nicht mehr hören. Ich habe es dann auch im Interview angesprochen, „Leute, das geht so nicht“. Denn es gibt so viele Sachen, die sich lustig anhören, also dann glauben Leute, wir werden durch 5G gesteuert, haha, mega lustig. Und dann geht man ins Internet und sieht, dass ein Anbieter Vorhänge mit Silberfäden für mehrere tausend Euro verkauft und es gibt Leute, die kaufen das und die haben dann vielleicht Angst auswärts zu pennen, weil sie denken, die Regierung steuert ihre Gedanken. Ein anderes Beispiel sind außerirdische Reptilienmenschen. Das klingt total lustig, bis man sich klar macht, dass Antisemitismus in diesen Gruppen eine extrem große Rolle spielt. Man muss sich auch klar machen, wenn ich sage, Barack Obama sei ein Alien, dann entmenschliche ich ihn auch. Damit kann man Gewalt natürlich auch viel einfacher legitimieren, so nach dem Motto „ist ja eh kein Mensch, da wird ja keiner verletzt“. Ein anderes Beispiel nochmal zu 5G. Es wurden zu Beginn der Pandemie gar nicht so wenige Funkmasten in Großbritannien oder in den Niederlanden angezündet, das heißt, es gab richtig Anschläge und in Peru wurden Mitarbeiter eines Telekommunikationsunternehmens von Dorfbewohnern entführt, die gedacht haben, jetzt kommt die böse Funkstrahlung und das hat bestimmt mit Corona zu tun. Also selbst das, was man lustig oder harmlos findet, ist sowohl für die Betroffenen als auch das Umfeld meist überhaupt nicht lustig und überhaupt nicht harmlos. Und generell muss man sagen, dass Verschwörungserzählungen sehr häufig zu anderen Geschichten führen, zu einem Radikalisierungsprozess. Deshalb finde ich es gut, dass wir mittlerweile eine ganz andere Debatte in unserer Gesellschaft führen und ich diese Frage sehr lange nicht mehr gestellt bekommen habe. Da sehe ich eben auch, dass wir als Gesellschaft durchaus lernfähig sind. Ich glaube, das brauchen wir auch, weil leider Gottes, wenn wir uns das Klima anschauen, werden wir in den nächsten Jahren nicht weniger Krisen haben, davon bin ich überzeugt. Wir brauchen Resilienz in unserer Gesellschaft, damit wir damit gut umgehen können und damit unsere Demokratie nicht daran zerbricht.
Carmen Romano: Danke dir für diese klaren Worte. Ich fand es total gut, denn wir haben heute auch, sagen wir mal, manchmal etwas dumme Fragen gestellt oder Sachen widergespiegelt, die man einfach in den Medien liest und du hast klare Kante gezeigt, solche Aussagen helfen. Denn wer uns hört, tut dies vielleicht auch als Unterstützung, wie man im eigenen Umfeld dazu argumentieren kann.
Katharina Nocun: Das war auch gar nicht böse gemeint, wenn ich gesagt habe, einen Begriff nicht zu verwenden, aber das ist ja normal, jeder hat so sein Steckenpferd, mit dem er sich beschäftigt und es ist irgendwie Experte für irgendetwas. Und klar, wenn man sich nicht den ganzen Tag mit Verschwörungserzählungen beschäftigt, dann sind einem manchmal Sachen nicht klaroder man kennt Debatten nicht. Ich finde, es ist auch total normal, dass man dann vielleicht sagt, das wusste ich gar nicht, oder vielleicht einen anderen Begriff benutzt. Das war also gar nicht korrigierend oder so gemeint. Genau.
Carmen Romano: Das habe ich auch überhaupt nicht so wahrgenommen. Und ich meine, wir haben uns auch nicht als Expertinnen für das Thema dargestellt, sondern einfach als Menschen, die Neugier für das Thema haben und so ein bisschen zur Aufklärung beitragen möchten. Und deswegen finde ich total gut, dass nicht alle Involvierten in diesen Gesprächen alles wissen, denn dadurch kommen dann die spannendsten Fragen auf. Und apropos spannende Sachen, ich finde, zusammenfassendzu dieser Folge total wichtig, nochmal die Rolle der Wissenschaft und Forschung zu betonen. Weil, wie du eben gesagt hast, es ist dank dieser Wissenschaft, dieser Forschung, dass wir jetzt das Phänomen benennen können, erkennen können, welche psychologischen Mechanismen dahinterstehen, wie das einfach menschlich ist, in Krisenzeiten beispielsweise daran zu glauben. Das besser zu verstehen hilft uns vielleicht auch, dagegen einzutreten. Also danke dir noch mal für dieses spannende Gespräch.
Katharina Nocun: Gerne!
Sabine Demsar: Auch von meiner Seite herzlichen Dank.
Das war es für diese Folge. In der nächsten Folge reden wir mit Dr. Nadine Frei über Rechtsextreme in der Querdenken-Bewegung. Abonniere unseren Podcast unter Petra-Kelly-Stiftung in der Podcast-App deiner Wahl, um immer die neueste Folge zu hören. Wir sind Sabine Demsar…
Carmen Romano: und Carmen Romano…
Sabine Demsar: und sagen Tschüss und bis zum nächsten Mal.
Carmen Romano: Ciao!
Shownotes
„Ein Spaziergang im Süden“. Ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg (www.boell-bw.de) und der Petra-Kelly-Stiftung (www.petrakellystiftung.de)
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