Die Bundesregierung hat über ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban gebraucht, um ein Aufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan zu erlassen. Am 17.10.2022 verkündete sie es öffentlich, es ist Teil des Koalitionsvertrages.
von Agnes Andrae
Die Bundesregierung hat über ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban gebraucht, um ein Aufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan zu erlassen. Am 17.10.2022 verkündete sie es öffentlich, es ist Teil des Koalitionsvertrages. Es soll all denen zugute kommen, die sich entweder durch ihr Engagement für Menschen- und Frauenrechte in Afghanistan in Gefahr gebracht haben oder ihre individuelle Gefährdung überzeugend darlegen können. Einen direkten Antrag zur Aufnahme können Betroffene aber nicht stellen: Die Anträge können nur sogenannte „meldeberechtigte Stellen“ einreichen. Im Klartext bedeutet das, dass zivilgesellschaftliche Organisationen die Arbeit der Bundesregierung übernehmen sollen und das muss gut überlegt sein, denn die Antragstellung gleicht einem bürokratischen Monstrum: So muss ein Formular mit circa 100 Fragen ausgefüllt sowie zahlreiche Dokumente und Nachweise der Verfolgung eingereicht werden. Die „meldeberechtigten Stellen“ prüfen und entscheiden, welche Fälle hierfür überhaupt in Frage kommen. Nach der Eingabe der „meldeberechtigten Stellen“ entscheidet dann ein Algorithmus, welche Fälle überhaupt an die Bundesbehörden gelangen und dort weiter geprüft werden. Wie dieser Algorithmus individuelle Notlagen analysieren soll, bleibt ein Rätsel.
Überhaupt kommen nur Personen infrage, einen Antrag zu stellen, die sich noch in Afghanistan befinden. All diejenigen, die aus Angst um Leib und Leben in Nachbarländer wie Pakistan oder Iran geflohen sind und dort seitdem illegalisiert leben, können keine Anträge stellen. Das Programm soll voraussichtlich bis September 2025 bestehen und monatlich 1000 Menschen eine Aufnahme ermöglichen.
Es ist aber ganz und gar nicht ein Notfall-Aufnahmeprogramm sondern die Auswahl ist in einzelne Schritte gestaffelt. Derzeit befindet es sich laut Auswärtigem Amt in der "ersten Meldephase" (1).
Die „meldeberechtigten Stellen“ werden nicht öffentlich bekannt gegeben. Schon jetzt häufen sich die Anfragen bei Geflüchtetenorganisationen nach Veröffentlichung des Aufnahmeprogramms. Diesen bürokratischen Irrsinn zu erklären, erfordert viel Zeit. Auch das geht zu Lasten von nicht-staatlichen Organisationen. Organisationen müssen sich nun letztendlich entscheiden, ob sie als „meldeberechtigte Stelle“ Teil des Bundesaufnahmeprogramms werden wollen. Die Arbeit kann schnell ganze Strukturen überlasten, finanziell und personell. Allein die Verantwortung tragen zu müssen, welche Fälle weitergegeben werden und welche nicht, wird wohl viele Akteur*innen abschrecken. Andererseits, wenn niemand diese Arbeit übernimmt, wer soll dann aufgenommen werden?
Das Bayerische Innenministerium lehnt das Bundesaufnahmeprogramm ab und rechtfertigt das mit fehlenden Aufnahmekapazitäten und fehlender Finanzierung durch den Bund. In anderen Bundesländern sind bereits eigene Landesaufnahmeprogramme in Planung. Was in Thüringen, Bremen, Berlin, Schleswig-Holstein und Hessen möglich zu sein scheint, bleibt in Bayern wohl eine Utopie.
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Quellen:
(1) Bundesministerium des Innern und für Heimat: Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan
Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.flucht-asyl.bayern