Politische Bildung ist nie neutral!

Kommentar

Das Rechtsgutachten der Cellex Stiftung bestätigt: „Politische Bildung und Demokratiearbeit sind stets auf ethische Werte und Verfassungsziele gerichtet und deshalb nie ,neutral‘.“ Das bestärkt die wichtige Arbeit vieler zivilgesellschaftlicher Vereine. Jetzt ist es an allen anderen, klar Position zu beziehen: Neutrale Zivilcourage gibt es nicht!

Lesedauer: 4 Minuten

Immer wieder üben Politik und Behörden Druck auf Vereine aus, sich politisch „neutral“ zu verhalten. Das hat eine Streuwirkung: Viele Vereine sind verunsichert und scheuen davor zurück, sich zu positionieren - gegen extrem rechte Ideologien und vor allem gegen extrem rechte Strukturen und Parteien wie die AfD. Das neue Gutachten der Cellex Stiftung macht jedoch klar: „Politische Bildung und Demokratiearbeit sind stets auf ethische Werte und Verfassungsziele gerichtet und deshalb nie ,neutral‘.“

 

Es gibt kein Neutralitätsgebot für Vereine

Den Mythos Neutralitätspflicht gibt es schon länger, dabei ist er immer wieder kritisiert und widerlegt worden:

(Nur) Staatsorgane dürfen nicht zu Gunsten oder zu Lasten einer politischen Partei – sofern sie nicht verboten wurde – auf den Parteienwettbewerb einwirken. Staatsorgane müssen sich neutral verhalten, da sich „die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollzieht, und nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin“, wie es das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil formuliert. Die übergreifende Geltung eines Neutralitätsgebotes für nicht-staatliche Akteure ist daher ein Mythos! (Handreichung von Bundesjugendring und Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten)

Das Gutachten der Cellex Stiftung bestätigt das nochmal, auch hinsichtlich von Parteien:

Die Bildungsarbeit freier Träger darf Gefahren für die Menschenwürde, für die freiheitliche demokratische Grundordnung, für die Grundrechte und für Staatsziele wie den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und europäische Einigung auch und gerade dann abwehren, wenn diese Gefahren von Programmen politischer Parteien ausgehen.

Eine allgemeine Neutralitätspflicht jenseits von Parteien gibt es ohnehin nicht, besonders, wenn es um Rechtsextremismus geht. Im Gegenteil: Es sind alle gefordert, sich demokratisch und für die Grund- und Menschenrechte zu positionieren. Eine Neutralität gegenüber Rechtsextremismus und Antidemokratie ist nicht im Sinne der Demokratie.

 

Solidarität statt Neutralität

Dennoch erleben wir, wenn auch selten, dass sich Vereine von Projekten zurückziehen, weil es ihnen ein Anliegen ist, neutral zu sein. Dazu sei folgendes gesagt:

In Sachsen und anderen Bundesländern sind Demokrat*innen teilweise in der Defensive: Sie werden angefeindet, bedroht, gemobbt und körperlich angegriffen. Eine Ursache ist, dass extrem rechte Äußerungen – und damit Hetze und Hass – als normal gelten oder als Meinung, die man sich anhören müsse. Neutralität hatte hier schon viele Namen: Wer extreme Rechte kritisierte, war wahlweise linksextrem, elitär oder ausgrenzend. Doch Haltung ist lebenswichtig für eine demokratische politische Kultur und die Menschen vor Ort. Der Landrat von Mittelsachsen ist zurückgetreten unter anderem wegen rechter Anfeindungen und weil die Mehrheit dazu geschwiegen hat.

 

Auch westdeutsche Bundesländer sind nicht davor gefeit, dass die politische Kultur weiter nach rechts rutscht und irgendwann kaum noch lebbar ist. Es ist dringend angeraten, jetzt klar Position zu beziehen, damit eine demokratische Haltung im Verein und im Ort „normal“ bleibt. 

 

Hier in Sachsen geben viele Menschen jeden Tag alles und werden dafür beleidigt und bedroht. Von außerhalb wird gefragt, warum es „so schlimm“ sei, ob man hier etwa noch studieren könne. Klar ist: In Landstrichen, in denen die extreme Rechte dabei ist, eine Hegemonie aufzubauen, massiv Gewalt ausübt und extrem rechte Parteien in den kommunalen Gremien die stärksten Fraktionen stellen, brauchen die Aktiven vor Ort verlässliche Unterstützung und Solidarität. Zivilgesellschaft braucht etwa eine dauerhafte verlässliche Finanzierung, die nicht von Schuldenbremsen oder eben Neutralitätsanforderungen bedroht wird. Das müssen gewählte demokratische Parteien leisten.

 

Die Solidarität allerdings muss aus der Gesellschaft kommen. Wenn sich Personen oder Vereine „neutral“ verhalten, fühlt sich das an wie eine Entsolidarisierung. So lässt man die Betroffenen alleine. Neutrale Zivilcourage gibt es aber nicht.

 

Und das zeigt das Rechtsgutachten nun noch einmal in aller Klarheit und Ausführlichkeit.

Kernaussagen des Rechtsgutachtens

[Auszug; Auswahl durch das Kulturbüro Sachsen ]

Zusammenfassend kommt Prof. Dr. Hufen zu folgenden Ergebnissen:

  • Mit seinen Ausführungen zum Neutralitätsgebot und zur Chancengleichheit politischer Parteien hat der Sächsische Landesrechnungshof (SRH) im Sonderbericht die Kompetenzen des Rechnungshofs überschritten. Über die Verfassungsmäßigkeit der Förderpraxis eines Ministeriums hat allein die Gerichtsbarkeit zu entscheiden.
     
  • Inhaltlich erweist sich die Argumentation des SRH als einseitig und wenig tragfähig und bietet auch keine Anhaltspunkte für einen Handlungsrahmen für künftiges Verhalten der Beteiligten. Sie konzentriert sich einseitig auf die Einhaltung des isoliert betrachteten Neutralitätsgebots und lässt die Anforderungen der ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Staatsaufgabe Demokratieförderung, der streitbaren Demokratie und der Grundrechtsstellung der geförderten zivilgesellschaftlichen Kräfte außer Betracht.
     
  • Die politische Nähe eines schon im Titel auf Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgerichteten Ministeriums zu auf dieselben Ziele gerichteten gesellschaftlichen Vereinigungen ist kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, sondern geradezu sachimmanent.
     
  • Politische Bildung und Demokratiearbeit sind stets auf ethische Werte und Verfassungsziele gerichtet und deshalb nie „neutral“. Auch sind sie Ausdruck der streitbaren Demokratie und verpflichtende Staatsaufgabe, die auch und gerade durch private Organisationen wahrgenommen werden können.
     
  • Die Offenheit des demokratischen Willensbildungsprozesses ist ein herausragendes Verfassungsprinzip. Sie darf nicht durch Neutralitätsgebot und Chancengleichheit der Parteien verkürzt werden. Beide Verfassungsgüter dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
     
  • Die öffentliche Finanzierung privater Initiativen bedeutet nicht, dass deren Äußerungen zu solchen des Staates werden. Die privaten Träger sind weder Instrument noch „Sprachrohr“ des Ministeriums und auch nicht in gleichem Maße an ein – wie auch immer definiertes – Neutralitätsgebot und die Chancengleichheit der Parteien gebunden.
     
  • Die Bildungsarbeit freier Träger darf Gefahren für die Menschenwürde, für die freiheitliche demokratische Grundordnung, für die Grundrechte und für Staatsziele wie den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und europäische Einigung auch und gerade dann abwehren, wenn diese Gefahren von Programmen politischer Parteien ausgehen.
     
  • Weder das Neutralitätsgebot noch die Chancengleichheit politischer Parteien verbieten die sachliche Auseinandersetzung mit diesen – auch wenn die entsprechende Partei oder führende Funktionäre konkret benannt werden.

Download: vollständiges Gutachten via Cellex Stiftung

Wichtige Links:

#nichtneutral – Informationen und Orientierung rund um das Thema Schule

Mythos „Neutralitätsgebot“ – Handreichung zur Demokratiebildung

Rechtsgutachten zum sogenannten Neutralitätsgebot


Dieser Artikel erschien zuerst hier: weiterdenken.de