Technik Macht Kriege

Die Fachtagung beschäftigt sich mit moderner Kriegsführung und wie neue Technologien diese begünstigen.

Lesedauer: 16 Minuten
Daniel Erasmus Khan, Barbara Lochbihler, Jutta Prediger, Dr. Niklas Schörnig

Neue Kriegsführungstechnologien und Friedenspolitik

Tagungsbericht

Bereits zu Beginn der Veranstaltung gab Frau Jutta Höcht-Stöhr von der evangelischen Stadtakademie München in ihrer Begrüßung eine kurze Einführung in das Thema des Fachtages. Hundert Jahre nach dem Beginn des ersten Weltkrieges befindet sich die Weltgesellschaft noch immer in einer Situation, die Kriege nicht überwunden hat, und in der bewaffnete Konflikte noch immer alltäglich sind. Dabei hat sich jedoch die Gestalt und die Art und Weise, in der kriegerische Konflikte ausgetragen werden in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Die Transformation hin zu einer modernen Art der Kriegsführung ist spätestens mit dem Ende der Blockkonfrontation in den 90er Jahren zu beobachten. Die modernen Kriege zeichnen sich zum einen dadurch aus, dass die bewaffneten Konflikte nicht mehr ausschließlich zwischen Staaten ausgetragen werden. Neue, nicht durch staatliche Zugehörigkeit gekennzeichnete Akteure nehmen am Kampfgeschehen teil. Daneben sind es vor allem moderne, technologische Errungenschaften, welche die Art und Weise der Kriegsführung maßgeblich beeinflussen und die Transformation hin zu einer modernen Art der Kriegsführung begünstigen. Es geht hierbei in erster Linie um eine „digitale Vernetzung der Kriegsführung“, welche beispielsweise die körperliche Anwesenheit auf dem Schlachtfeld nicht mehr notwendig voraussetzt.

Um diese moderne, personalisierte Art der Kriegsführung zu verdeutlichen, wurde zur Einleitung ein Imagefilm des europäischen Rüstungskonzerns Saab mit dem Titel „first to know, first to act“ gezeigt. Anschließend an diese einleitenden Überlegungen formulierte Frau Höcht-Stöhr die Leitfragen für die Fachtagung:

  • Senken die neuen technologischen Möglichkeiten die Hemmschwelle zur Kriegsführung?
  • Werden die neuen Kriege außerhalb unserer Wahrnehmung geführt?
  • Welche Auswirkungen hat diese neue Art der Kriegsführung auf die Akteure der Auseinandersetzungen?
  • In welchem Verhältnis steht diese neue Art der Kriegsführung zu den rechtlichen Grundsätzen von Völkerrecht und Souveränitätsprinzip?
  • Wie kann die Friedensbewegung angemessen auf diese neuen Herausforderungen reagieren?

     

Vortrag von Dr. Niklas Schörnig von der Hessischen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung:

Titel des Vortrags: Die Revolution in Military Affairs und ihre Folgen für die Führbarkeit von Kriegen. (Der Vortrag kann  als PDF nachgelesen oder auf unserem Soundcloud-Account angehört werden. Im Anschluss stellte Renate Grasse vier Fragen zum Vortrag. Fragen und Antworten haben wir ebenfalls auf Soundcloud dokumentiert)

Der Ausgangspunkt von Dr. Schörnigs Vortrag liegt in einer Einordnung moderner Formen der Kriegsführung in den zugrundeliegenden Kontext des aktuellen westlichen Denkens über Krieg. Während bis zum Ende der Blockkonfrontation das Denken über Krieg noch mit der Erwartung von Millionen (auch zivilen) Kriegsopfern verbunden war, so ist dieses Denken seit den 90er Jahren einer Transformation unterworfen. Die Erfahrungen aus Kriegen nach 1990 (Beispielsweise Golfkrieg 91, Kosovo 99, Irak 03) mit „vergleichsweise geringen Zahlen von Kriegstoten“ führten zu einer Veränderung im westlichen Denken über Krieg. Denn mit der sinkenden Erwartung an Tote im Falle einer Kriegshandlung ist auch ein steigendes Interesse an den Möglichkeiten einer „perfekten Kriegsführung“ (ohne eigene Verluste) verbunden.

Dieses neue Denken über Krieg – gepaart mit den sich ständig verändernden Rahmenbedingungen von Kriegen - führte seit 1989 zu einem „neuen Weg westlicher Kriegsführung“. Kriege des Westens sind nun in erster Linie dadurch gekennzeichnet, dass sie als „wars of choice“ aus einer direkten Entscheidung zum Krieg hervorgehen, und dass sie andererseits unter ständiger medialer Beobachtung stattfinden. Damit verbinden sich für die Entscheidungsträger_innen auch explizite Anforderungen an die Art und Weise der Durchführung der „neuen westlichen Kriege“. Denn um die Entscheidung zum Krieg unter den Rahmenbedingungen globaler medialer Beobachtung zu legitimieren, muss die Akzeptanz des Krieges in der (globalen – sowie vor allem auch in der heimischen) Bevölkerung aufrechterhalten werden. Somit zielt der „neue Weg westlicher Kriegsführung“ in erster Linie darauf ab, die Zahl der Kriegstoten so gering wie möglich zu halten. Vor allem das Vermeiden der eigenen Verluste ist dabei ein Kennzeichen der „neuen westlichen Kriegsführung“ und ein zentraler Bestandteil der Strategie von Entscheidungsträger_innen, um den „war of choice“ vor der eigenen Bevölkerung zu legitimieren. Zu diesem Zweck ist es notwendig, Kriege aus der Distanz zu führen, sowohl hinsichtlich des Schlachtfeldes (abseits vom eigenen Staatsterritorium und weit entfernt von der eigenen Bevölkerung), als auch bezüglich der bewaffneten Auseinandersetzung (Einsatz von Distanzwaffen - beispielsweise Cruisemissiles).

Vor diesem Hintergrund sind es vor allem Entwicklungen im Bereich der Hightech-Kriegsführung – die sogenannte „Revolution in Military Affairs“ – welche den Anforderungen dieser „neuen westlichen Kriegsführung“ gerecht werden sollen. Das Kernelement für die „Revolution in Military Affairs“ besteht dabei in der zeitgleichen Vernetzung und Koordination von drei zentralen militärischen Elementen: „Signature management“ (Tarnung, Stealth), Aufklärung in Echtzeit und Waffenpräzision. Durch das synchrone Zusammenarbeiten dieser drei Bereiche soll die Wirkung der einzelnen Teilelemente verstärkt („multipliziert“) und der Waffeneinsatz effizienter gestaltet werden. Das praktische Beispiel der militärischen Kampfdrohne konkretisiert dieses abstrakte Bild der „Revolution in Military Affairs“. Denn diese Waffenart vereinigt genau jene Elemente (Tarnung, Aufklärung und Präzision) in einem einzigen militärischen Gerät. Unter militär-strategischen Gesichtspunkten versprechen solche technischen Entwicklungen eine schnelle, überlegene und präzise Abwicklung von Kampfhandlungen aller Art („fast and decisive victories“ und „full spectrum dominance“) und damit die Umsetzung des „neuen Weg westlicher Kriegsführung“. Denn ferngesteuerte Waffensysteme wie Kampfdrohnen minimieren nicht nur das Risiko auf eigene Verluste. Sie verringern durch das Prinzip der vernetzten Kriegsführung auch die Zeitspanne zwischen Aufklärung und Angriff und tragen somit wesentlich zur militärischen Reaktionsfähigkeit bei. Nun kann in der Bodenstation auf Grundlage von Live-Bildern einer Drohne über einen direkten Waffeneinsatz mit hoher Präzision entschieden werden. Es sind in erster Linie diese militärischen Vorteile, die zu einem starken Anstieg der weltweiten Nachfrage an solchen Waffensystemen führen. Aktuell sind etwa ein Drittel aller US-Militär-Flugsysteme unbemannt. Mit zukünftig angestrebten technischen Entwicklungen geht der Trend dabei noch weiter in Richtung einer autonomen Selbstorganisation der Waffensysteme. Denn aktuell werden Kampfdrohnen noch in erster Linie in Räumen mit unumkämpften Lufträumen, beispielsweise zur „Terrorbekämpfung“ eingesetzt. Für den Einsatz in umkämpften Lufträumen – beispielsweise bei Kriegen zwischen Staaten – ist ein wesentlich höherer Grad an Autonomie des Waffensystems notwendig. Im Extremfall muss der Computer selbst über den Waffeneinsatz „entscheiden“.

Neben der Steigerung von militärischer Effizienz birgt ein solches neues Verständnis von Krieg selbstverständlich zahlreiche Probleme und Gefahren. Unter dem Schlagwort „Obama’s way of war“ verbirgt sich das Verständnis dafür, wie gerade der bewaffnete Drohneneinsatz eine Art der Kriegsführung anstrebt, die explizit versucht der medialen Berichterstattung zu entgehen. Auf diese Weise kann ein Krieg außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung in einer rechtlichen Grauzone geführt werden. Daneben führen die neuen militärischen Möglichkeiten zu einer Auflösung der räumlichen und zeitlichen Grenzen von Krieg. Es wird zunehmend möglich, immer und überall auf der Welt einen militärischen Angriff zu starten. Es besteht dadurch im Allgemeinen die kritische Frage, ob eine solche Ausdehnung des Kriegsbegriffs auf ein globales Schlachtfeld ohne zeitliche Beschränkung möglicherweise zu einer Trivialisierung von Krieg führt. Des Weiteren besteht die Sorge, dass der Einsatz solcher Mittel der Kriegsführung den verstärkten Einsatz von ebenso hinterhältigen Kriegsmitteln auf der Seite der Gegner (beispielsweise Sprengfallen) als resymmetrierende Antwort auf die technische Überlegenheit westlicher Kriegsführung nach sich zieht. Auch auf sicherheitspolitischer Ebene besteht die Gefahr, einen globalen Rüstungswettlauf um die „Revolution in Military Affairs“ auszulösen und damit eine Destabilisierung der bereits hochgerüsteten Weltregionen herbeizuführen. Außerdem sind viele Sicherheitsrisiken in technischer Hinsicht (Anfälligkeit für Hacker-Angriffe, Nutzbarkeit für Terrorangriffe) nur schwer abschätzbar.Auch das Verhältnis des Drohnenkriegs zum Völkerrecht im Allgemeinen ist zwiespältig. Zwar argumentieren die Befürworter_innen der „Revolution in Military Affairs“ einerseits damit, durch diese technischen Möglichkeiten besser zwischen Zivilisten und Kriegsgegnern unterscheiden zu können, und somit zu einer besseren Umsetzung des humanitären Völkerrechts beizutragen. Doch wenn im humanitären Völkerrecht das Recht von Soldat_innen zu Töten auf Grundlage der Reziprozität aus dem Recht auf Selbstverteidigung abgeleitet wird, dann besteht die zwingende Frage, ob im Falle einer ferngesteuerten und risikolosen Kriegsführung eben dieses Recht auf Selbstverteidigung und damit das Recht zu Töten erlischt. Eine weitere kritische Perspektive wirft die Frage auf, wie sich die neue Form der westlichen Kriegsführung auf unsere Haltung und unser Handeln hinsichtlich „Krieg“ auswirkt. Sinkt möglicherweise die Hemmschwelle zur Kriegsführung durch die neuen militärischen Möglichkeiten? Auf der Ebene der militärischen Kriegsführung sind diese Effekt bisher unklar („Playstationmentalität“ vs. „Cyber-Kriegs-Trauma“). Demgegenüber scheint aber auf der Ebene der politischen Entscheidungsträger_innen ein Trend in Richtung einer geringeren Hemmschwelle besonders realistisch zu sein. Grund hierfür ist in erster Linie das Wegfallen der Notwendigkeit eigene Verluste zu legitimieren und eine neue Möglichkeit der politischen Kosten-Nutzen-Abwägung, welche die neue Kriegsführung bietet.

Zum Abschluss des Vortrags weist Dr. Schörnig noch einmal auf den grundsätzlichen Trend hinsichtlich einer Autonomisierung von Waffensystemen und die damit verbundenen rechtlichen und ethischen Herausforderungen hin. Eine solche Form des vollautomatischen Tötens führt dazu, dass Computer zunehmend unabhängig über das Töten von Menschen entscheiden. Die damit verbundene Fragen und Probleme wurden erst in jüngster Zeit von NGOs und der UN aufgegriffen und damit zu einem Thema der politischen Debatte gemacht. Diese Debatte läuft jedoch ständig Gefahr, den aktuellen technischen Entwicklungen hinterher zu laufen.



Vortrag von Prof. Dr. Daniel Erasmus Khan (Universität der Bundeswehr München):

Titel des Vortrags: Humanitäres Völkerrecht und neue Technologien der Kriegsführung (auch diesen Vortrag können Sie in voller Länge bei Soundcloud anhören)

Prof. Daniel Erasmus Khan stellte die Komplexität der moralischen und rechtlichen Bewertbarkeit von technisierter Kriegsführung in den Mittelpunkt seines Vortrags. Zentral hierfür ist das Spannungsverhältnis zwischen der „rechtmäßigen Effektivität“ eines hochpräzisen Drohnenangriffs und den starken moralischen Vorbehalten vor einer solchen entpersonalisierten Form des Tötens. Während die technischen Entwicklungen einerseits durch die Minimierung der zivilen Kriegsopfer eine bessere Durchsetzung des Völkerrechts in Aussicht stellen, so erscheinen uns andererseits die Bilder von Drohnenangriffen als vergleichbar mit denen von hinterhältigen Terroranschlägen. In moralischer Hinsicht scheint ein Drohnenkrieg mit unseren gängigen Vorstellungen von „richtiger Kriegsführung“ nicht vereinbar. Denn in unserem Verständnis von Krieg ist es in erster Linie das eigene Risiko – der Einsatz des eigenen Lebens – welches als Legitimationsgrundlage für das Töten des Gegners dient. Dieser moralische Rechtfertigungsgrund entfällt bei der ferngesteuerten Kriegsführung. Indem der Gegner nur noch als Objekt einer Zwangsmaßnahme auf dem Schlachtfeld auftritt, erscheint uns eine solche Art der Kriegsführung als ungerecht.

Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich besonders bei einer näheren Betrachtung der Auswirkungen von neuen Kriegstechnologien auf die Debatten um das humanitäre Völkerrecht. Zu diesem Zweck führt Prof. Daniel Erasmus Khan an dieser Stelle einige einleitende Überlegungen zu den Prinzipien des Völkerrechts an. Die Geschäftsgrundlage und das zentrale Merkmal des humanitären Völkerrechts ist die Anerkennung der Konfliktparteien im Krieg als Rechtssubjekte. Damit handelt es sich beim humanitären Völkerrecht explizit um ein Kriegsrecht, welches den Krieg als reale Grundlage seiner Rechtsprechung voraussetzt. Das humanitäre Völkerrecht beschäftigt sich also nicht mit der Rechtmäßigkeit von Kriegen (ius ad bellum), sondern bezieht sich als „ius in bello“ auf die rechtlichen Bedingungen während der Ausnahmesituation einer kriegerischen Auseinandersetzung. Als Grundprinzipien für Kriegsführung nach dem humanitären Völkerrecht gelten der Schutz von Zivilisten und die Beschränkung der Gewalt auf „ein notwendiges Maß“ (die Wahrung von Verhältnismäßigkeit). Das Ziel des humanitären Völkerrechts ist es also, den Krieg als Zustand völliger Rechtlosigkeit zu überwinden und so weit wie möglich in seine Schranken zu weisen. In dieser Hinsicht entfaltet nach Ansicht von Prof. Daniel Erasmus Khan das humanitäre Völkerrecht seine Wirkung in dem Moment, indem der Pazifismus sein Ziel der Friedensbewahrung nicht verwirklichen konnte. Dabei liegt der große Vorteil des humanitären Völkerrechts eben gerade darin, dass hier keine wertenden Aussagen zu der Rechtmäßigkeit von Konflikten im Allgemeinen getätigt werden. Indem es sich rein auf die rechtliche Ordnung der Vorgänge im Krieg konzentriert – und den Krieg somit als gesellschaftliche Realität anerkennt – bildet es erst die Grundlage für Institutionen und rechtliche Grundsätze wie die Genfer Konventionen, das Landminenverbot oder die Ächtung des totalen Kriegs.

In der heutigen Zeit stellen das Auftreten neuer Akteure auf dem Kriegsschauplatz und der Einsatz moderner Formen der Kriegsführung nun große Herausforderungen für das humanitäre Völkerrecht dar. Die Schwierigkeit besteht zunächst darin, dass heute eine einheitliche Definition von „Krieg“ nur schwer möglich scheint. Sowohl die technischen Formen der Austragung, als auch die territoriale Verortung von bewaffneten Konflikten nehmen an Vielfalt zu und lassen eine klare Kategorisierung von „Krieg“ zunehmend verschwimmen. Zudem sind die Akteure einer kriegerischen Auseinandersetzung in steigendem Maße nicht zweifelsfrei zu identifizieren. Diese Umstände erschweren die rechtliche Bewertung von Kampfhandlungen nach den Maßstäben des humanitären Völkerrechts und machen eine verstärkte Auseinandersetzung mit den rechtlichen Grundlagen der „neuen Kriege“ notwendig. Dabei steht auch und im Besonderen die Nutzung neuer, hochtechnologischer Kriegsmittel im Zentrum dieser Debatte. Die völkerrechtliche Norm (nach Art.36 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen) hält die Staaten an dieser Stelle dazu an, sich bei der Einführung neuer Waffen intensiv mit ihrer völkerrechtlichen Vereinbarkeit auseinanderzusetzen. In juristischer Perspektive kann in dieser einfachen rechtlichen Normierung schon ein Fortschritt gesehen werden. Denn die grundlegenden Maßstäbe des Völkerrechts schließen wenigstens die Art und die Anwendung von Waffen als Mittel einer „totalen Kriegsführung“ aus. Zudem kann der rechtliche Zwang zu einer solchen Überprüfung auch eine gesellschaftliche Öffentlichkeit für die moralische Debatte um den Einsatz moderner Waffen schaffen und so zu mehr Transparenz beitragen.

Mit Blick auf das humanitäre Völkerrecht stellen sich nach Ansicht von Prof. Daniel Erasmus Khan in erster Linie zwei Fragen. Zum einen besteht die grundsätzliche Frage, ob Drohnen in der Lage sind, zwischen „legitimen Zielen“ (Kombattanten, militärische Objekte) und „illegitimen Zielen“ (Zivilisten) sicher zu unterscheiden. Dieses Unterscheidungsgebot stellt eine unverzichtbare Grundlage des humanitären Völkerrechts dar. Es gilt nicht nur im Falle des klassischen zwischenstaatlichen Konflikts, sondern in allen Bereichen kriegerischer Auseinandersetzungen. Diese Frage muss nun in erster Linie auf technischer Ebene beantwortet werden. Es scheint aber so, als ob die aktuelle Technologie eine zweifelsfreie Durchsetzung des Unterscheidungsgebots nicht gewährleisten kann. Die zweite zentrale Frage im Hinblick auf das Verhältnis von Völkerrecht und Drohnenkrieg besteht darin, ob eine militärische Handlung im Falle eines Drohneneinsatzes zweifelsfrei einem bestimmten Akteur zugeordnet werden kann. Diese Forderung nach einer Transparenz der Verantwortlichkeit für kriegerische Handlungen ist ebenso ein zentraler Bestandteil des humanitären Völkerrechts. Es bestehen berechtigte Zweifel darüber, ob ein Computer als Entscheidungsträger dieser rechtlichen Vorgabe gerecht werden kann. In dieser Hinsicht ist nach Prof. Daniel Erasmus Khan das humanitäre Völkerrecht eine notwendige Grundlage für die rechtliche Beschränkung moderner Kriegstechnologien auf ein Mindestmaß militärischer Notwendigkeit und damit auch für die Eindämmung von Missbrauch und der schlimmsten Kriegsübel.

Im Anschluss an den Vortrag von Prof. Dr. Daniel Erasmus Khan entstand eine lebhafte Diskussion, welche besonders das Verhältnis von Völkerrecht  als "ius in bello" und den grundsätzlichen Überlegungen hinsichtlich der Legitimität von Krieg ("ius ad bellum") in den Fokus der Betrachtung stellte. So besteht die Sorge, dass durch eine Fokussierung auf die Debatte rund um die rechtlichen Regeln von Kriegshandlungen die grundlegende Beschäftigung mit der Rechtmäßigkeit von Krieg als solches in den Hintergrund gedrängt wird. Gerade die verstärkte Auseinandersetzung um das "ius ad bellum" ist aber eine notwendige Voraussetzung, um einer grundsätzlichen Akzeptanz von Krieg als legitimen Mittel der politischen Auseinandersetzung entgegen zu treten.

(Die Diskussion können Sie auf Soundcloud nachhören)

 

Podiumsdiskussion:

 

Bild entfernt.

Auf dem Podium (sitzend von links nach rechts): Prof. Dr. Daniel Erasmus Khan (Universität der Bundeswehr München), Barbara Lochbihler (MdEP, Bündnis 90/DIE GRÜNEN), Jutta Prediger (BR, Moderation), Dr. Niklas Schörnig (Hessische Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung)



An die beiden Vorträge schloss sich im Folgenden eine Podiumsdiskussion zum Tagungsthema an. Neben den beiden Referenten Dr. Niklas Schörnig und Prof. Dr. Daniel Erasmus Khan war Barbara Lochbihler (MdEP) auf dem Podium anwesend und ergänzte damit die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage nach Implikationen und Folgen von neuer technischer Kriegsführung um eine praktisch-politische Perspektive. Die Moderation der Podiumsdiskussion wurde von Jutta Prediger (BR) übernommen.

Zum Einstieg in die Debatte wurde die Frage formuliert, auf welche Weise die Politik mit den neuen technischen Möglichkeiten zur Kriegsführung umgehen soll. Frau Lochbihler konkretisiert diese Problemstellung auf die aktuelle (europa-)politische Frage, unter welchen rechtlichen Bedingungen Drohnen eingesetzt werden dürfen. Hier besteht zum einen die Möglichkeit der US-amerikanischen Rechtsauffassung zu folgen, welche die Definition eines globalen Kriegszustandes zur Grundlage der Legitimation bewaffneter Drohneneinsätze hat. Diese Grundannahme steht aber durchaus im Widerspruch zu den völkerrechtlichen Rechtsauffassungen der EU-Staaten. Dabei besteht gerade an dieser Stelle ein großer Mangel an rechtlicher Klarheit auf Seite der EU. Es scheint beispielsweise in Deutschland zwar eine grundlegende Haltung dazu zu geben, dass ohne Rechtssicherheit auch keine bewaffneten Drohnen eingesetzt werden. Nach der Ansicht von Barbara Lochbihler wird die Vermeidung der eigentlich notwendigen rechtlichen Debatte die Politik aber nicht davor bewahren, in konkreten Fällen Entscheidungen treffen zu müssen und damit einer rechtlichen Auslegung zu folgen. Eine gezielte Auseinandersetzung mit diesem Thema und die Entwicklung einer eigenen Rechtsposition der EU zu diesem Thema sind daher absolut notwendig.

Eine weitere Frage an das Podium bezog sich darauf, welchen Beitrag die Forschung zur Lösung der Probleme und Fragen rund um die technisierte Kriegsführung leisten kann. Nach Ansicht von Dr. Niklas Schörnig kann die Wissenschaft dazu beitragen, diese zentralen Themen in den Bereich der öffentlichen Debatte zu bringen. Indem die rechtlichen Implikationen solcher Waffeneinsätze diskutiert werden und indem sowohl die kurz- als auch die langfristigen Auswirkungen solcher Formen der Kriegsführung untersucht werden, kann einer ausnahmslosen Euphorie um die militärischen Vorteile solcher Waffensysteme entgegengewirkt werden.

Die dritte zentrale Frage während der Diskussion bezog sich darauf, ob es einen bestimmten institutionellen Ort für die Aushandlung der rechtlichen Beurteilung von Kriegshandlungen gibt. Aus Perspektive der EU-Politik schildert Frau Lochbihler, dass auch hier ein eindeutiger Mangel an institutioneller wie inhaltlicher Klarheit besteht. Zu rechtlichen Fragen bezüglich Kriegshandlungen werden auf EU-Ebene lediglich Empfehlungen abgegeben, die über den Status von „Guidelines“ nicht hinausgehen. Auch diese Sichtweise bestärkt die Forderung an die EU, eine eindeutige rechtliche Position zu diesen Themen zu beziehen. Bezüglich der Frage merkt Prof. Dr. Daniel Erasmus Khan an, dass mit der Völkerrechtskommission zwar auf internationaler Ebene ein institutioneller Ort besteht, an dem Vorlagen zu Rechtsverträgen bezüglich der technischen Kriegsführung ausgearbeitet werden können. Diese Verträge müssten aber von den jeweiligen Einzelstaaten erst ratifiziert werden, was diese Vorgehensweise zu einem schwierigen – möglicherweise unmöglichen – Projekt macht. Nach der Ansicht von Prof. Dr. Daniel Erasmus Khan ist es daher ratsam, besser auf die etablierten Grundsätze des humanitären Völkerrechts zu bauen, als neue und mühsame Kodifizierungsverfahren am Ende möglicherweise sogar scheitern zu lassen.

Der abschließende Punkt der öffentlichen Diskussion bezog sich auf die Implikationen und Möglichkeiten von Drohneneinsätzen, die keinen explizit militärischen Bezug haben. Diese Überlegungen entwickelten sich aus der Feststellung heraus, dass Drohnen auch ohne direkten Waffeneinsatz schon als Terror-Taktik zur psychologischen Kriegsführung genutzt werden können. Unter diesen Gesichtspunkten kann die stetige Bedrohung durch Drohnen als Mittel der Folter angesehen werden, welches zu schweren Traumatisierungen führen kann. In der folgenden Ausweitung dieser Diskussion konkretisierte sich die Betrachtung auf die grundlegende Problemstellung: Das zentrale Problem bei der Bewertung von Drohneneinsätzen liegt in der Eigenschaft solcher moderner Systeme als „dual-use-technology“. So können Drohnen beispielsweise auch zu nicht-militärischen Zwecken (beispielsweise Brandbekämpfung oder Transport) eingesetzt werden. Die Anforderungen an eine rechtliche Ordnung der Umgangsformen mit solchen Techniken werden damit zunehmend komplex. Auch aus diesem Grund scheint eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Themen zur modernen technisierten Kriegsführung und die Entwicklung einer eindeutigen rechtlichen Position (welche Einsätze sind erlaubt – welche nicht?) zwingend notwendig.

Referent*innen



Dr. Niklas Schörnig

Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt



Prof. Dr. Daniel Erasmus Khan

Universität der Bundeswehr München 



Barbara Lochbihler

MdEP, Bündnis 90/DIE GRÜNEN

 

Moderation

Jutta Prediger, BR

Partner

Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik

Evangelische Stadtakademie München

Lehrstuhl für Global Governance and Public Policy am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft in München

Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg

Professur für Internationale Politik und Konfliktforschung der Universität der Bundeswehr München