Kommunalpolitik als “Mitmach-Demokratie” ist ein wichtiger Beitrag zum Abbau der Politik(er)verdrossenheit. Die demokratische Qualität formaler wie auch informeller Beteiligungsverfahren hängt jedoch davon ab, wie ernst gemeint und auf echte Partizipation der Bürger/innen abzielend diese Beteiligungsangebote tatsächlich sind. Was notwendig ist, wird immer deutlicher: eine systematische Beteiligungskultur in den Kommunen.
Unsere Tagung zeigte Wege zu einer solchen Beteiligungskultur auf und stellte einige konkrete Beispiele dafür vor.
Wege zu einer systematischen Beteiligungskultur in den Kommunen
Die Beteiligung an den bayerischen Kommunalwahlen im vergangenen Jahr war wiederum schockierend niedrig. Wenn nicht einmal mehr die Hälfte des Wahlvolks zur Urne geht, dann ist die Kommunalpolitik offenbar für die Mehrzahl der Bürger/innen ein Terrain, das ihnen nur marginale Einflussmöglichkeiten verspricht. Dass die Abstinenz am Wahltag keineswegs ein generelles Desinteresse an kommunalpolitischen Fragen bedeutet, zeigen auf der anderen Seite die vielfältigen Formen politischen Engagements der Bürgerschaft.
Kommunalpolitik als “Mitmach-Demokratie” ist deshalb ein wichtiger Beitrag zum Abbau der scheinbar allgegenwärtigen Politik(er)verdrossenheit. Die demokratische Qualität formaler wie auch informeller Beteiligungsverfahren hängt jedoch davon ab, wie ernst gemeint und auf echte Partizipation der Bürger/innen abzielend diese Beteiligungsangebote tatsächlich sind. Was notwendig ist, wird immer deutlicher: eine systematische Beteiligungskultur in den Kommunen.
Unsere Tagung zeigte Wege zu einer solchen Beteiligungskultur auf und stellte einige konkrete Beispiele dafür vor.
Prof. Dr. Roland Roth gab einleitend einen kritischen Überblick über den derzeitigen Stand der Beteiligungskultur in Deutschland und wies darauf hin, dass es nach wie vor große Widerstände gegen ein Mehr an Demokratie in den Kommunen gebe. Zwei typische Reaktionsformen gebe es: „Die Bevölkerung will doch eigentlich gar nicht mehr Demokratie.“ Und: „Wir, die Kommunalpolitik, sind doch so nah am Bürger, dass wir keine erweiterte Bürgerbeteiligung brauchen.“
Mittlerweile gibt es dennoch eine schier unüberschaubare Zahl verschiedener Formen und Typen informeller und konsultativer Bürgerbeteiligung. Zum Teil sind diese gesetzlich vorgeschrieben, wie die Bürgerbeteiligung in bestimmten Planungsverfahren. Zum anderen Teil werden sie situativ angewandt und sind dialogorientiert (Bürgerforen, Bürgerdialoge etc.). Wieder andere sind auf Dauer gestellt, so z.B. die Bürgerhaushalte. Von diesen Beteiligungsmethoden und –verfahren zu unterscheiden sind direkt-demokratische Formen wie Bürgerbegehren und Bürgerentscheide.
Insbesondere was die nicht direkt-demokratischen Verfahren angeht, gibt es in Deutschland wenig Informationen darüber, was eigentlich passiert, welche Methoden zu welchen Ergebnissen führen. Die Empirie der Bürgerbeteiligung ist völlig ungesichert, ob und welche Wirkung sie hat, wird bisher nicht evaluiert.
Zahlen gibt es hinsichtlich der Bürgerhaushalte: davon gibt es bundesweit 71 – was, bezogen auf die Gesamtzahl der Kommunen, natürlich verschwindend wenig ist. Zahlen gibt es auch hinsichtlich der direktdemokratischen Verfahren. In dem von „Mehr Demokratie e.V.“ herausgegebenen Bürgerbegehrensbericht aus dem Jahr 2014 geht hervor, dass es von 1956 bis 2013 insgesamt 6.447 Verfahren auf kommunaler Ebene gab, von denen 3.177 in einen Bürgerentscheid mündeten. Mehr als die Hälfte davon fand zwischen 2003 und 2013 statt. Im Jahr 2013 wurden 365 Verfahren neu eingeleitet. Das sind deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Nahezu 40 Prozent (2.495) aller erfassten Verfahren fanden allein in Bayern (seit der Einführung im Jahr 1995) statt. Doch bezogen auf die Gesamtzahl der Kommunen sind solche direktdemokratischen Verfahren eher selten. Selbst in Bayern findet ein solches Verfahren – rein rechnerisch – nur alle 16 Jahre in einer Kommune statt. Oft sind Bürgerbegehren eher ein „Drohinstrument“, das benutzt wird, um andere Formen der Beteiligung zu erreichen.
Noch düsterer sieht die Beteiligungslandschaft aus, wenn man nach systematischen Formen der Bürgerbeteiligung sucht: Nur 32 Städte und Gemeinden nutzen das Instrument der Bürgerbeteiligung strategisch und systematisch, es gibt in Deutschland insgesamt nur 40 kommunale Partizipationsbeauftragte.
Roland Roth schlug in einem zweiten Schritt vor, den Begriff der Beteiligung etwas weiter zu fassen und sprach in diesem Zusammenhang von einer „Vielfalt von Demokratie“, die sich auf fünf Ebenen zeige:
1. die tradierten Formen der repräsentativen Demokratie. Auch hier findet natürlich Beteiligung statt, doch kann die repräsentative Demokratie immer weniger beanspruchen, für alle zu sprechen. Sie ist sozial, demografisch und auch hinsichtlich des Geschlechts selektiv. Repräsentative Demokratie wird von männlichen Mittelstandspersonen mittleren Alters dominiert!
2. die direkt-demokratischen Formen der Beteiligung, die sich innerhalb der Bevölkerung enormer Wertschätzung erfreuen (übrigens: unabhängig von der Parteipräferenz – auch Anhänger „rechter“ Parteien befürworten direkte Demokratie!).
3. die deliberativen Beteiligungsformen, die zu allen Themen möglich und in allen Lebensbereichen notwendig sind.
4. Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen, die erheblich stärker genutzt werden als etwa Parteien und Verbände und sich durch die fallweise und situative Nutzung auszeichnen.
5. das bürgerschaftliche Engagement, das gerade auf kommunaler Ebene prägend sein kann und durchaus großes politisches Potenzial hat, weil sich auf diese Weise im Kleinen etwas gestalten lässt.
Eine echte Beteiligungskultur – so Roland Roth – muss aus all diesen fünf Säulen bestehen, alle haben ihre legitime Berechtigung. Sie gegen- und untereinander auszuspielen, ist unangebracht. In jedem Fall gibt es eine deutliche Mehrheit innerhalb der Bevölkerung, die beteiligt werden will. Das heißt: Im kommunalpolitischen Alltag muss man mit Beteiligungserwartungen rechnen. Kommunalpolitik sollte sich darauf einstellen!
Prof. Dr. Helmut Klages erläuterte v.a. am Beispiel Heidelbergs (wo er den entsprechenden Prozess wissenschaftlich begleitet hat), was unter dem Begriff der „systematischen“ Bürgerbeteiligung zu verstehen ist und welche Voraussetzungen dafür zu erfüllen sind. Systematisch wird Bürgerbeteiligung dann, wenn sie als öffentliche Aufgabe begriffen und dementsprechend formalisiert und institutionalisiert wird. Dies kann personalisiert in Form von entsprechenden Beauftragten geschehen oder aber über entsprechende Leitlinien oder kommunale Satzungen. Häufig gibt es sogar beides. Die Institutionalisierung sorgt für Transparenz und Sicherheit bei allen Beteiligten und letztlich für sachgerechte Entscheidungen. Um dies sicherzustellen, sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen:
- Information über ALLE Planungen
- Offener Zugang zum Beteiligungsverfahren
- Ergebnisoffener Diskurs
- Rechenschaftslegung nach der Entscheidung des Gemeinde- oder Stadtrats, was aus den Beteiligungsergebnissen gemacht wurde (insbesondere dann wichtig, wenn in wichtigen Punkten vom Beteiligungsergebnis abgewichen wurde!)
In Heidelberg gibt es deshalb eine Vorhabensliste, in der die städtischen Ämter alle Planungen eintragen und die Bürger/innen die Möglichkeit haben, eine Beteiligung zu beantragen. Oft wird dies jetzt schon vom Amt selbst vorgeschlagen. Für jedes Vorhaben wird vom Beteiligungskoordinator ein spezifisches Verfahren entwickelt. Beteiligung wird dabei als Prozess verstanden. Ein ergebnisoffener Diskurs soll durch entsprechend gestaltete Veranstaltungen erreicht werden. Durch die Institutionalisierung der Bürgerbeteiligung selbst, durch ihre Gestaltung und die Praxis der Umsetzung kann sich eine Kooperationskultur entwickeln. Ganz entscheidend für das Gelingen einer solchen Beteiligungskultur ist die Haltung: Beteiligung muss gewollt werden. Und es braucht eine Person vor Ort, die zum Kristallisationspunkt dieses Prozesse wird. In Heidelberg hat sich die zentrale Rolle der Beteiligungskoordination sehr deutlich gezeigt. Auch die örtlichen Medien sind wichtig: Ihre Berichterstattung kann den Beteiligungsprozess fördern oder auch gefährden. Gelingt die Umsetzung aber, dann verändert Bürgerbeteiligung auch die Wahrnehmung von Politik. Politik wird dann als selbst gestaltbar erfahren.
Ein weiteres großstädtisches Beispiel für systematische Bürgerbeteiligung ist die Bundesstadt Bonn, deren Entwicklung von Dirk Lahmann, dem im OB-Büro für dieses Themenfeld verantwortlichen Mann, vorgestellt wurde. Die Institutionalisierung von Bürgerbeteiligung begann dort mit dem Finanzbereich, weil dieses Thema den Bürger/innen als besonders wichtig galt. Dementsprechend war der Einstieg in die Bürgerbeteiligung ein Bürgerhaushalt und ein Bürgerdialog zum Kommunalhaushalt. Doch zeigte sich gerade an diesem Themenbereich, dass verlässliche Rahmenbedingen notwendig sind, will man Bürgerbeteiligung systematisch betreiben. Die sodann erarbeiteten Leitlinien für die Bürgerbeteiligung wurden im März 2014 einstimmig im Stadtrat beschlossen und sind seitdem, obwohl nicht in Satzungsgestalt, Bonner Ortsrecht.
Lahmann betonte, dass der Leitlinien-Prozess nie zu Ende sei, sondern ein Lernprozess, der Überarbeitungen und Anpassungen einschließt. Um eine wirkliche Beteiligungskultur zu schaffen, sei ein längerer Zeitraum erforderlich. 10 Jahre müssen dafür ungefähr angesetzt werden. Auch in den Verwaltungen selbst sind dafür Lernprozesse notwendig. Ein Curriculum für Bürgerbeteiligung an den entsprechenden Verwaltungsfachhochschulen ist deshalb sehr wichtig. Baden-Württemberg hat in dieser Beziehung eine Vorreiter-Rolle übernommen, die anderen Bundesländer müssten unbedingt nachziehen.
Eine Vorreiter-Rolle in Sachen Bürgerbeteiligung hat auch die kleine oberbayerische Gemeinde Weyarn – im ländlichen Raum und zeitlich in der Bundesrepublik insgesamt. Dass sie dort zum selbstverständlichen Bestandteil der politischen Kultur geworden ist, hat auch mit dem Wirken des langjährigen Bürgermeisters Michael Pelzer zu tun. Doch der betonte bei der Darstellung des Weyarner Modells, dass dies so selbstverständlich werden muss, dass sie von den konkreten Protagonisten nicht mehr abhängig ist. Auch in Weyarn wurde die Satzung, die die Grundlage aller dortigen Beteiligungsprozesse ist, vom Gemeinderat einstimmig beschlossen. Pelzer wies auf die Wichtigkeit der professionellen Begleitung von Beteiligungsprozessen hin, für die in Weyarn auch die entsprechenden finanziellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Als entscheidende Bedingung für den Erfolg nannte er, dass die Einstiegshürden für eine individuelle Beteiligung so niedrig wie möglich gehalten werden.
Die soziale Selektivität der repräsentativen Demokratie, aber auch von deliberativen Beteiligungsformen ist mittlerweile als ein wesentliches Problem erkannt worden. Wie sich eine Beteiligungskultur für alle erreichen lässt, zeigte Rixa Gohde-Ahrens am Beispiel der Quartiersarbeit in Hamburg auf. Sie betonte, dass es zwar schwer erreichbare, klassisch unterrepräsentierte Gruppen und Menschen mit geringen Teilhabechancen gebe, dass es sich dabei aber immer nur um Teile dieser Gruppen (Jugendliche, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen ohne bezahlte Arbeit und von Armut betroffene Menschen z.B.) handle. Sie machte auch darauf aufmerksam, dass die Fokussierung auf solche Gruppen den gegenteiligen Effekt haben könne: Sie kann die Stigmatisierung der Gruppe verstärken und so Randständigkeit und Separierung sogar verschärfen. Mitglieder der Gruppe weichen der Hilfsbedürftigen-Zuweisung aus und werden noch schwerer erreicht.
Gemeinwesenorientierung in der Partizipationsarbeit versucht deshalb, die Verfahren an alle zu richten und sich an den Ressourcen und Potenzialen der Adressaten zu orientieren. Diese sollen die Selbstwirksamkeit eigenen Engagements erfahren, Erfolgserlebnisse haben und ein positives Feedback bekommen. Damit dies gelingt, ist Methodenvielfalt unerlässlich. Planning for Real ist eine solche Methode. Mit ihr werden Informationen so aufbereitet, dass sie auch ankommen. Persönliche Ansprache, aufsuchende Arbeit und die Nutzung von Multiplikator/inn/en sind dafür zentral. Wenn Verständigung dabei nicht nur auf verbaler Ebene erfolgt, lassen sich Kommunikationsbarrieren überwinden. Visuelle Aufbereitung, z.B. durch ein Stadtmodell, ist wichtig, ebenso die Einbeziehung des öffentlichen Raums in die Arbeit. Und es muss die Zeit vorhanden sein, eigene Perspektiven, Positionen, Lösungsansätze zu einer sozialen oder räumlichen Fragestellung zu entwickeln. Die Beteiligten sollten zu Mitplaner/inne/n werden – von der Idee bis zur Umsetzung. Wichtig ist dabei eine klare Ergebnisorientierung: Es sollen Erfolge, auch wenn es „nur“ kleine sind, zeitnah erfahrbar sein. Mitmachprojekte spielen also eine ganz wichtige Rolle.
Partizipationsangebote, die inklusiv sein wollen, sollten niedrigschwellig und für alle zugänglich sein. Dazu gehören etwa: Mittagsspaziergänge, Bewegungsprojekte im Außenraum, Stadtteil-/Nachbarschaftsgärten, Stadtteilfeste, Buffet der Kulturen. Die Partizipation in Gremien (z.B. in einem Stadtteilbeirat) bietet dann die Chance der Verstetigung. Andere Akteure (Bewohner/innen, Mitarbeiter/innen aus Stadtteileinrichtungen, aus Planung, Verwaltung und Politik) können kennen gelernt werden, es gibt Informationen über aktuelle Projekte und Themen, die Wege zu Verwaltung und Politik werden kürzer. Und durch die Wertschätzung von Projekten und die Anerkennung von Engagement wird mehr Selbstbewusstsein in „eigener Sache“ erzeugt. Die Mitarbeit an solchen Gremien muss aber angebahnt und erleichtert werden: über konkrete Projekte, über Multiplikator/inn/en und leichte Zugangsbedingungen (z.B.: Stimmrecht bei dreimaliger Anwesenheit). Auch die Rahmenbedingungen müssen passen: es sollten informelle Anteile bei solchen Sitzungen von vornherein eingeplant werden. Ein lockerer Anfang, z.B. ein informeller Austausch über Aktuelles in Kleingruppen oder ein vorgeschaltetes Nachbarschaftscafé, können dazu ebenso beitragen wie ein Stadtteilspaziergang zu aktuellen Themen. Wichtig ist es auch, dass ein Budget zur Verfügung steht, mit dem kleiner Projekte geplant und finanziert werden können. Ein solches Budget ist enorm motivierend für die Teilnahme an einem Stadtteilbeirat.
Mit großen Hoffnungen für eine bessere Bürgerbeteiligung verbunden war und ist immer noch die Online-Partizipation. Wolfgang Pohl gab zunächst einen Überblick über die Vielfalt von Online-Beteiligungsmöglichkeiten: Informationsangebote (z. B. Ratsinformationen, Gemeinde-Wikis), kommunales Beschwerdemanagement, Online-Petitionen, Online-Konsultationen, Bürgerhaushalte im Netz, Diskussionsforen (mit oder ohne Abstimmung), Online-Planung, Ideenwettbewerbe, strukturierte Dialogangebote gehören dazu.
An einzelnen Beispielen wurden aber auch die Probleme dieser Beteiligungsformen deutlich. So bieten Beschwerde-Apps wie in Maerker Brandenburg eine gute und schnelle Möglichkeit für die Bürger/innen auf Missstände hinzuweisen. Doch diese App funktioniert nur hier, nicht in anderen Städten und Landkreisen, in denen es andere Plattformen gibt. Eine Vereinheitlichung wäre dringend angesagt.
Liquid Friesland, ein landkreisweites Online-Forum mit Vorentscheidungsmöglichkeit (dort vorgebrachte Anliegen, die eine Mehrheit gewinnen, werden im Kreistag behandelt) leidet unter den geringen Teilnahme-Zahlen: Auch wenn nicht jedes Verfahren repräsentativ sein muss, um gute Ergebnisse zu erzielen, sind 530 Teilnehmende insgesamt aus dem gesamten Landkreis doch enttäuschend wenig.
Dennoch liegen die potenziellen Vorteile von Online-Beteiligung klar auf der Hand: Informationen können unkompliziert und niedrigschwellig bereitgestellt und unabhängig von Zeit und Ort „konsumiert“ werden. Dialoge sind auch bei großer Beteiligung möglich. Allerdings sind auch Online-Beteiligungsangebote selektiv (nur 4-34% derer, die sie kennen, nutzen die Verfahren!). In formellen Verfahren ist die Papierform und Präsenz oft vorgeschrieben, Online-Beteiligung ist somit meist ein zusätzlicher Kanal, der mehr Aufwand (personell und finanziell) erfordert.
Für die Zukunft erwartet Wolfgang Pohl, dass Online-Beteiligung ihren Exoten-Status verliert und sich eine Kombination von Online- und Präsenz-Beteiligungen etabliert. Dafür wird es dann aber vorgefertigte Tools und „Lösungen von der Stange“ geben.
In seinem abschließenden und zusammenfassenden Statement wies Roland Roth darauf hin, dass es durchaus eine gute Ausgangssituation für mehr Beteiligung gebe: Die meisten Ratsmitglieder in den Kommunen haben ein partizipatives Selbstverständnis (auch wenn dies im Parteispektrum von links nach rechts abnimmt!). Es gibt also eine allgemeine Wertschätzung von Beteiligung. Aber: Nur ein Viertel der Bürger/innen sind mit dem derzeitigen Grad der Beteiligung zufrieden, sie wollen mehr beteiligt werden. Diese Kluft müsse - so Roth - geschlossen werden.
Derzeit beschränkt sich die echte Beteiligungskultur noch auf einige wenige Pioniere. Allerdings sind diese guten Beispiele noch zu selten. Beteiligungskultur entsteht laut Roth nur dann, wenn sie selbstverständlich wird. Beteiligung muss deshalb institutionalisiert und damit verbindlich werden. Dafür sind aber auch die entsprechenden - personellen wie finanziellen - Ressourcen notwendig.
Widerstände und Widersprüche gegen mehr Beteiligung müssen durchaus ernst genommen werden. Aber das "Letztentscheidungsrecht" der Gremien müsse auch einmal in Frage gestellt werden dürfen. Nur so könne man die Menschen für die Beteiligungskultur gewinnen. Roth ermutigte dazu, in den Beteiligungsforderungen nicht zu bescheiden zu bleiben und sich nicht auf die immer geringer werdenden kommunalen Spielräume beschränken zu lassen. Bürgerbeteiligung müsse „weg vom Katzentisch“ und statt dessen auch die zentralen Fragen von Wirtschaft und Kapitalismus in den Blick nehmen.
Links und Literaturhinweise
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Bürger beteiligen! Strategien, Praxistipps und Erfolgsfaktoren für eine neue Beteiligungskultur in Behörden. Gütersloh 2013
Stephanie Bock/Bettina Reimann/Klaus J. Beckmann: Auf dem Weg zu einer kommunalen Beteiligungskultur. Bausteine, Merkposten und Prüffragen. DIFU, Berlin 2013
Birgit Böhm: Mehr Mut zur Bürgerbeteiligung durch innovative Verfahrenskombinationen. Ein Plädoyer für die Verknüpfung direkter, deliberativer und parlamentarischer Demokratie. eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 13/2015 vom 19.08.2015
Brigitte Geißel/Norbert Kersting: Zwischen Parteiendemokratie und partizipativen Innovationen – Beteiligungskultur in Deutschland. eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 12/2014 vom 20.06.2014
Rixa Gohde-Ahrens: Partizipation und soziale Inklusion aus der Quartierssicht – ein Blick nach Hamburg. eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 19/2013 vom 11.10.2013
Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) Experiment Bürgerbeteiligung. Das beispiel Baden-Württemberg. Berlin o.J.
Helmut Klages/Angelika Vetter: Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene. Persoektiven für eine systematische und verstetigte Gestaltung. Berlin 2013
Helmut Klages: Entwicklungsperspektiven der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene. eNewsletter Netzwerk Bürgerbeteiligung 01/2014 vom 10.04.2014
Dirk Lahmann: Bonn im Aufbruch zu einer integrierten und nachhaltigen Bürgerbeteiligung. eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 14/2014 vom 18.07.2014
Mario Martini/Saskia Fritzsche: Kompendium Online-Bürgerbeteiligung. Rechtliche Rahmenbedingungen für kommunale Beteiligungsangebote im Internet. München 2015
Mehr Demokratie e.V. (Hrsg.): Bürgerbegehrensbericht 2014. Berlin 2014
Stiftung Mitarbeit (Hrsg.): Teilhaben und Mitgestalten. Beteiligungskulturen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Bonn 2014
Netzwerk Bürgerbeteiligung: www.netzwerk-buergerbeteiligung.de
Andreas Paust: Bürgerentscheid mit Bürgerbeteiligung verbinden – geht das? eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 13/2015 vom 19.08.2015
Roland Roth: Handlungsoptionen zur Vitalisierung der Demokratie. Expertise für die Bertelsmann Stiftung. Gütersloh o.J.
Martin Rüttgers: Bürgerbeteiligung in deutschen Kommunen: Erfolgsfaktoren und Entwicklungsperspektiven. 11. Juni 2015
Kathrin Stainer-Hämmerle: Vertrauensgewinn durch partizipative Demokratie. eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 13/2015 vom 19.08.2015
Kathrin Voss (Hrsg.): Internet und Partizipation. Bottom-up oder Top-down? Politische beteiligungsmöglichkeiten im Internet. Wiesbaden 2014
Ludwig Weitz: Beteiligung zur Beteiligung. Leitlinien zur Bürgerbeteiligung als wesentlicher Baustein einer guten Beteiligungskultur vor Ort. eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 14/2014 vom 18.07.2014
Indre Zetzsche: »Smarte Partizipation?!« – Zum Verhältnis von Politik und Bürgerbeteiligung. eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 09/2015 vom 20.05.2015
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