Die Verrohung der Republik

Politischer Diskurs im Wandel. Lesen Sie die Dokumentation unserer Tagung, die in Zusammenarbeit mit der Akademie für Politische Bildung Tutzing stattfand.

Gruppenbild mit einiger Referent*innen und der Tagungsleitung
Teaser Bild Untertitel
Von links nach rechts: Fritz Schäffer, Manfred Schwarzmeier (Tagungsleitung), Nora Fritzsche, Gerd Rudel (Tagungsleitung) und Christian Boeser-Schnebel

Politischer Diskurs im Wandel

Der Ton wird rauer. Sicherlich gab es in der bundesrepublikanischen Geschichte öfters Phasen, in denen politische Auseinandersetzungen mit harten Bandagen und heftiger Wortwahl geführt wurden. Doch Hasstiraden, Verunglimpfung und Gewaltandrohung, befeuert durch gezielte Falschmeldungen und Gerüchte gegen das sogenannte „Establishment“, haben ein Ausmaß erreicht, das zu einer zunehmenden Verrohung des politischen Diskurses führt. Mit dieser, die politische Kultur im Lande beschädigenden Entwicklung, beschäftigte sich unsere Tagung, die in Zusammenarbeit mit der Akademie für Politische Bildung Tutzing stattfand.

Als eine politische Strömung, die sich durch die Gegnerschaft zu Individualismus, Internationalismus und Multikulturalismus auszeichnet, charakterisierte Simon Tobias Franzmann, Politikwissenschaftler an der Universität Düsseldorf, das Phänomen „Populismus“. Im Zentrum populistischer Argumentation steht ein angeblicher Gegensatz zwischen dem „homogenen, tugendhaften Volk“ und der „korrupten Elite“. Populismus ist deshalb tendenziell antipluralistisch, das Politikverständnis das eines Freund-Feind-Bildes. Hinzu kommt eine ausgeprägte „Anti-Establishment“-Haltung. Für die rechtspopulistische Variante nannte Franzmann folgende wesentlichen Merkmale: Nativismus; kulturell geprägte Ungleichheitspostulate („wahrer Volkskern“); in der neurechten Ideologie vor allem ein „Recht auf kulturelle Distanz“, in der Identität durch nationalstaatliche Souveränität gewährleistet wird sowie der Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen aus dem „Volk“. Rechtspopulismus an der Regierung führe – so Franzmann – notwendig zu autoritären Systemen, denn jegliche innere Opposition werde als illegitim denunziert. Konkret auf die Bundesrepublik bezogen bezeichnete Franzmann die AfD als die Partei, in der Modernisierungsgegner (nicht gleichzusetzen mit Modernisierungsverlierer!) einen Großteil der Wählerschaft stellen. Ihre Wähler sind gekennzeichnet durch eine Dominanz ausländerfeindlicher Motive, einen hohen Männer-Anteil, wenige Jungwähler (unter 5 Prozent). 28 Prozent der AfD-Wählerschaft haben – so Franzmann – ein „geschlossen rechtsextremes Weltbild“. Entgegen oft zu vernehmender Meinungsäußerungen handelt es sich also nicht nur um Protestwähler.

Tutzing_Olaf Jandura hält sein Vortrag
Olaf Jandura (Universität Düsseldorf)

Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht untersuchte Olaf Jandura (Universität Düsseldorf) die Verrohung des politischen Diskurses. Seiner Ansicht nach nahm dieser Prozess mit den PEGIDA-Demonstrationen in Dresden ab Oktober 2014 (also lang vor der Zunahme der Flüchtlingsbewegung) Fahrt auf. Die Weigerung der Demonstranten, sich auf Diskussionen einzulassen, bewertete er als Abkehr vom „deliberativen Paradigma“ demokratischer Gesellschaften (Konsens/Dissens, zivilgesellschaftliche Verständigungsprozesse, Überzeugungskraft von Argumenten etc.). Die Qualitätskriterien öffentlicher Kommunikation wie gegenseitiger Respekt und Zivilisiertheit des Umgangs sind dabei unter die Räder gekommen. Jandura betonte, dass polemische Zuspitzung und Kritik, Emotionalisierung und Moralisierung in politischen Diskussionen allein noch keine Gefahr für die Demokratie darstellen. Er bezeichnete dies als „zivile Verrohung der Sprache“. Eine solche Gefahr besteht allerdings dann, wenn der politische Streit verweigert wird, wenn Diskussionen abgebrochen und Gegenpositionen kriminalisiert werden. Wo dem „Gegner“ von vornherein „böse Absichten“ unterstellt werden, herrscht eine Logik der Denunziation („inzivile Verrohung der Sprache“). Social Media fördern gemäß ihrer Funktionslogik die Entstehung von „Echokammern“ und „Filterblasen“, in denen immer nur „Gleichgesinnte“ miteinander kommunizieren, statt zum politischen Diskurs in einer politischen Öffentlichkeit beizutragen.

Karolin Schwarz vom Fact Checking Team des Recherche-Portals CORRECTIV wies in ihrer Analyse der Bedeutung von „Fake News“ für den gegenwärtigen politischen Diskurs zunächst darauf hin, dass ein Hoax, (v.a. im Internet verbreitete Falschmeldung) kein neues Phänomen ist. Dennoch gibt es in letzter Zeit eine deutliche Zunahme und politische Instrumentalisierung solcher Falschmeldungen. Allein auf der Website hoaxmap.org sind mittlerweile fast 500 gesammelt, die sich ausschließlich auf angebliche „Vorfälle“ mit Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten beziehen und alle widerlegt sind. Im vergangenen Bundestagswahlkampf, der vom CORRECTIV-Team sehr intensiv verfolgt und analysiert wurde, waren zwar keine richtig „großen“ Falschmeldungen zu verzeichnen, aber doch etliche Fake-Geschichten und Fake-Dokumente. Dazu zählen gefälschte Aussagen von Politikerinnen und Politikern sowie Fotos oder Videos mit falschen Erläuterungen. Derartige Fake News „funktionieren“ – so Schwarz –, weil sie der eigenen Weltsicht entsprechen und auf bestehenden Ressentiments aufbauen. Wer selbst aktiv Nachrichten auf einen möglichen "Fake-Gehalt" untersuchen möchte, kann dabei als Hilfsmittel auf die Google-Rückwärtssuche (für Bilder) oder den Amnesty Dataviewer zurückgreifen.

Tutzing_Vortrag von Beate Küpper
Beate Küpper (Hochschule Niederrhein)

Handelt es sich um einen Aufstand der „Frustrierten“? Diese Frage stellte die Sozialpsychologin Beate Küpper (Hochschule Niederrhein) in den Mittelpunkt ihrer Analyse, die sie vor dem Hintergrund der Ergebnisse der „Mitte-Studien“ sowie von Langzeit-Untersuchungen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit durchführte. Demzufolge positioniert sich zwar die große Mehrheit der Bevölkerung als „demokratisch“, zeigt aber in Einzelfragen Meinungen, die auch anschlussfähig sind für Rechtspopulismus und neurechte Ideologien. So kommt es zum „Einsickern“ dieser Ideologien und ihrer Sprache in den politischen Diskurs. Über 2000 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte sowie massive Drohungen gegen politisch Engagierte, die nicht ihre Auffassung teilen, zeigen, dass sich „Rechtsextreme im Kampfmodus“ befinden. In dieser Situation empfiehlt Küpper Gegenrede und deutliches Auftreten gegen rechts: es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass alle einer (rechtspopulistischen) Meinung seien. Menschenfeindliche Einstellungen dürften nicht noch verstärkt werden. Als Kennzeichen der rechtspopulistischen Ideologie nannte sie: 1) die Entgegenstellung von „die da oben“ und „wir da unten“, 2) den Mythos von der Homogenität des „Volkes“ („Wir“ gegen die „anderen“!), 3) den Anspruch, die „wahre Stimme“ des Volkes darzustellen,4) die Denunziation anderer Meinungen als illegitim („Lügenpresse“) und 5) das Narrativ des „betrogenen Volkes“. Tatsächliche Ungleichheit wird als Ungleichwertigkeit interpretiert und führt dementsprechend zur Abwertung ganzer Gruppen. Vorurteile vermitteln vermeintliches Wissen und Erklärungsmuster, erhöhen den Selbstwert, schaffen Anerkennung durch andere und legitimieren soziale Hierarchien, Privilegierung und Diskriminierung. Die Ergebnisse der Mitte-Studie belegen dies auch empirisch. Die AfD bündelt die vorhandenen rechtpopulistischen Einstellungen und verknüpft sie geschickt mit dem Narrativ vom „bedrohten kleinen Mann“ und dem „bedrohten Volk“. Sie bietet so die Legitimation für vielfältige Abwertungen, unangebrachte Wut und die Verteidigung eigener Vormachtstellung.

Die Ursachen für diese Einstellungen sieht Beate Küpper nicht so sehr in den tatsächlichen ökonomischen Bedingungen, sondern eher in der Art und Weise, wie diese Bedingungen (zum Beispiel die tatsächlichen Ressourcenkonflikte und die Frage der sozialen Identität) interpretiert und gedeutet werden: Wesentlich ist die Empfindung von Angst: vor dem/den Fremden, vor Veränderung, vor sozialem Abstieg, vor dem Verlust von Privilegien.

Mögliche Gegenstrategien und Handlungsansätze aus verschiedenen Perspektiven bestimmten die Schlussrunde. Fritz Schäffer vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) widmete sich dabei den Schulen und plädierte auf Basis des Manifests seines Verbandes mit dem Titel „Haltung zählt“ dafür, der dringend notwendigen Demokratiepädagogik größeren Stellenwert einzuräumen. Demokratiepädagogik hat dabei nicht die Aufgabe, dass bestimmte politische Positionen als „richtige“ dargestellt werden, sondern soll vielmehr eine politische Haltung vermitteln, in der unterschiedliche Meinungen einen Platz finden. Das bedeutet: Anerkennung von Pluralismus und Heterogenität einer Gesellschaft. Damit dies aber wirklich funktionieren kann, müsste die Schule selbst, so Schäffer, eine demokratische Institution werden, in der Demokratie gelebt werde und erlebt werden könne. Dies müsse auf allen Ebenen geschehen: in der Schulorganisation und -verwaltung (z.B.: durch Schulparlamente mit echten Kompetenzen), aber auch im Unterricht selbst (z.B. durch respektvollen Umgang miteinander und durch gemeinsames Festlegen der angewandten Lern-Methoden). Auch die Lehrerfortbildung müsse dazu beitragen, die demokratischen Elemente zu stärken.

Tutzing_Vortrag von Nora Fritzsche
Links: Christian Boeser-Schnebel (München), rechts: Nora Fritzsche (Köln)

Nora Fritzsche (Köln) gab einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten, mit „Hate Speech“ im Internet umzugehen. Immerhin zwei Drittel der jüngeren Internet-User/innen hat schon einmal solche Hasskommentare oder Cyber-Mobbing selbst erfahren müssen. Sie mahnte nachdrücklich, dieses relativ neue Phänomen ernst zu nehmen: „Digitaler Hass ist realer Hass.“ Es seien konkrete Gegenstrategien notwendig, um mit solchen Belästigungen umzugehen. Die von ihr angeführten Websites, Broschüren und Projekte gaben vielfältige Anregungen, wie solche Hilfestellungen aussehen können. Auch Humor und Witz kann wirksam sein. Als inspirierende Vorbilder nannte Nora Fritzsche: hasshilft.deHate-Poetry oder das NoHate Speach Movement.

Christian Boeser-Schnebel, Projektleiter des Netzwerks Politische Bildung Bayern und Mitautor eines Buches über Argumentationstraining (www.politikwagen.de), machte deutlich, dass es beim Umgang mit Populismus und Stammtischparolen nicht darum gehe „den anderen auszutricksen“. Vielmehr müsse es Ziel sein, eine Haltung zu etablieren, in der die Bereitschaft für einen offenen demokratischen Diskurs ein zentrales Element sei. Dazu ist es notwendig, die jeweiligen „Echokammern“ zu verlassen und einander zuzuhören sowie Offenheit für andere Sichtweisen zu entwickeln. Beispielsweise ist es besser nachzufragen statt gleich eine Gegenargumentation aufzubauen. Und ganz wichtig ist es, die eigene Haltung zu reflektieren und zumindest ein Stück weit in Frage zu stellen.

 

Links und Literaturhinweise:

Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): MONITORINGBERICHT 2015/16. Rechtsextreme und menschenverachtende Phänomene im Social Web. Berlin 2016 

Sebastian Bartoschek: Bekanntheit von und Zustimmung zu Verschwörungstheorien - eine empirische Grundlagenarbeit. Hannover 2015

Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler: Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland. Leipzig 2016

Oliver Decker, Alexander Yendell, Johannes Kiess, Elmar Brähler: Polarisiert und radikalisiert? Medienmisstrauen und die Folgen für die Demokratie. Frankfurt am Main 2017

Manifest „Haltung zählt“ des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Juni 2016

BLLV: Haltung zählt: Schule für die Demokratie. Positionspapier zur Demokratiepädagogik. Oktober 2017

Ingrid Brodnig: Hass im Netz. Was wir gegen Mobbing, Lügen und Hetze tun können. Brandstätter Verlag 2016

Christoph Brüggemeier: Das Aufklären von Fakes ist einfach. CORRECTIV, 21.9.2017 

Klaus Dörre: Die national-soziale Gefahr. Pegida, Neue Rechte und der Verteilungskonflikt – sechs Thesen. theoriekritik.ch, 3.7.2016

Simon Tobias Franzmann: Die Programmatik von ALFA in Abgrenzung zur AfD: Droht Deutschland eine Spirale des Populismus? Mitteilung des Institutes für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung 22 (2016), S. 38-51

Olaf Jandura: Zwischen Integration und Diversifikation. Medien und gesellschaftlicher Zusammenhalt im digitalen Zeitalter. Wiesbaden 2017

Marco Dohle, Olaf Jandura, Gerhard Vowe: Politische Kommunikation in der Online‐Welt. Dimensionen des strukturellen Wandels politischer Kommunikation. Zeitschrift für Politik, 61 (4-2014), 414–436

Jutta Kramm: Den Fake News keine Chance. CORRECTIV, 25.9.2017

Michael Krake: Der Code der Neuen Rechten. In: ÜberMedien 11.12.2016 

Jan-Werner Müller: Schatten der Repräsentation: Der Aufstieg des Populismus. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 4/2016, S. 63-74

Wahrheit. Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 13/2017 

Madlen Preuß, Frederik Tetzlaff, Andreas Zick: Hass im Arbeitsalltag Medienschaffender. „Publizieren wird zur Mutprobe“. Studie zur Wahrnehmung von und Erfahrungen mit Angriffen unter Journalist_innen. Berlin 2017 

Andreas Zick / Beate Küpper / Daniela Krause: Gespaltene Mitte – feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Bonn, November 2016

Burkhard Jungkamp / Marei John-Ohnesorg (Hrsg.): Politische Bildung in der Schule. Zeitgemäße Ansätze in Zeiten des Populismus. Berlin 2017

www.mimikama.at
Mimikama ist eine internationale Koordinationsstelle zur Bekämpfung von Internetmissbrauch und zentrale Anlaufstelle für Internetuser, die verdächtige Internetinhalte melden möchten. Mimikama selbst ist ein eingetragener Verein der sich „Mimikama – Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch“ nennt.

 

Referent*innen:

Dr. Christian Boeser-Schnebel
Universität Augsburg, Projektleiter des Netzwerks Politische Bildung Bayern

Dr. Simon Tobias Franzmann
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Nora Fritzsche, M.A.
Wissenschaftliche Referentin für Radikalisierungsprävention der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) Landesstelle NRW e.V., Köln

Prof. Dr. Olaf Jandura
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Prof. Dr. Beate Küpper
Hochschullehrerin für "Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen", Stellvertretende Leitung des Institutes SO.CON (Social Concepts - Institut für Forschung und Entwicklung in der Sozialen Arbeit) an der Hochschule Niederrhein, Fakultät Sozialwesen, Mercator Fellow 

Dr. Fritz Schäffer
Leiter der Abteilung Schulpolitik im BLLV

Karolin Schwarz
CORRECTIV - Fact Checking Team, Essen

 

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