Sex: zwischen Macht, Tabus und Idealen

Aktionstage zu Körperbildern, Sexualität und sexuellen Grenzüberschreitungen

Lesedauer: 9 Minuten
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„Männer wollen immer nur das Eine“ oder der „Mythos Jungfrau“: Unzählige überholte Vorstellungen rund um Körper und Sexualität stecken noch immer in unseren Köpfen und weisen dabei meist Männern* eine aktive und Frauen* eine passive Rolle zu. Weibliche Lust wird tabuisiert, Körperwissen wird vorenthalten. Scham für und Unwissen über den eigenen Körper, die eigene Sexualität und  zugehörige Begriffe (etwa Vulva oder Klitoris) verhindern, dass insbesondere Frauen* und Mädchen* sich mit eigenen Bedürfnissen und Grenzen auseinandersetzen, sie kennen(lernen) und artikulieren. 

Der Glaube, dass Männer* “immer nur an das Eine denken”,  ist Teil eines Männlichkeitskonzepts, das Grenzüberschreitungen durch Männer* legitimiert. Konsens war deshalb ein zentrales Thema der Veranstaltungsreihe und wurde im Licht der aktuellen Debatte um “#metoo” umso relevanter:  Es zeigt  sich, dass nicht nur unbeabsichtigte Grenzverletzungen, sondern auch bewusst in Kauf genommene sexualisierte Gewalt nach wie vor die Lebensrealitäten von Frauen* und anderen Gruppen prägen. 

Die Foto-Ausstellung der jüdisch-US-amerikanischen Künstlerin Hannah Altman wurde vom Organisationsteam der Aktionstage am Freitag (20.04.2018) in der Kultur-Cafeteria der Universität Passau gezeigt. Die Fotoserie ersetzte Körperflüssigkeiten von Frauen* (darunter Blut, Tränen und Erbrochenes) durch Glitzer und karikierte so die Norm, als Frau* in allen, auch in z.T. unerträglichen Situationen schön aussehen zu müssen. Der Ausstellung war ein Beschreibungs- bzw. Interpretationstext beigefügt, sodass alle Passant*innen Zugang zum Thema hatten. Sie funktionierte auch als Mittel, um Teilnehmer*innen für die übrigen Veranstaltungen zu gewinnen. Knapp zwei Wochen nach Ende der Aktionstage wurden die Werke wieder abgehängt, sodass die Aktionswoche über die Ausstellung noch nachwirken konnte.

Beim mit über 150 Zuhörer*innen ausgezeichnet besuchten Poetry Slam gegen Sexismus ging es um niederschwellige Einsicht in sexistische Lebensrealitäten und Feminismus als Begegnungsstrategie. In ihren Texten verbalisierten die Slammerinnen* (Katrin Freiburghaus, Lolo Logie, Doro Röder, Yasmin Köseli, Fatima Talalini) unterschiedlichste Alltagserfahrungen, die sie selbst mit Sexismus hatten. Das gesamte Publikum beteiligte sich rege, sodass von einer gelungenen Sensibilisierung für die Existenz dieser Diskriminerungsform ausgegangen werden kann.

Im Film "Vulva 3.0" und der anschließenden Diskussion ging es vor allem um eine kritische Auseinandersetzung mit Tabus und Schönheitsidealen. Die Referentin Julia Schuh zeigte auf, wie sich die Darstellung und gesellschaftliche Wahrnehmung von Vulven geschichtlich entwickelt haben und welche Rolle diese in der heutigen Darstellung von Vulven spielen. Im Anschluss wurde der Film Vulva 3.0 gezeigt. Dieser geht besonders auf die heutige Tabuisierung von Vulven auf der einen Seite und die verzerrte Darstellung von Vulven in Medien und der Wunsch vieler Frauen* sich daran mittels Operationen anzupassen auf der anderen Seite ein. Daraus entstand eine sehr anregende Diskussion zum Umgang mit Schönheitsidealen.

In der Podiumsdiskussion: „Sexismus und sexualisierte Gewalt an der Hochschule" sollten die aktuellen Maßnahmen der Universität Passau kritisch beleuchtet und Ideen für andere Umgangsweisen mit Sexismus und sexualisierter Gewalt an Hochschulen entwickelt werden. Zuerst erläuterte Ann Wiesental als Expertin für sexualisierte Gewalt befragt, was darunter zu verstehen sei und wie sinnvolle Betroffenen-Unterstützung aussehen kann. Hier wurde klar, dass die Definitionsmacht über den Umgang bei den Betroffenen liegen sollte. Wie solche betroffenenorientierte Unterstützung an der Universität aussehen kann und wo die Anlaufstellen sind, erklärte Elena Dück, die stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Philosophischen Fakultät. Kritik an der Umgangsweise der Universitäten kam von Eva Gruse, Vorstand des freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften e.V.. Sie problematisierte, dass die zuständigen Stellen in der Regel in das universitäre Geschehen eingebunden sind, die Professor*innen, von denen eine Grenzüberschreitung ausgehen kann, oft persönlich kennen und Betroffene daher nicht unabhängig unterstützen können. Anregungen zu möglichen Veränderungen in der Lehre und den Lehrinhalten gab Dr. Christian Rademacher, ein Dozent der Universität Passau. Aus dem Publikum kamen viele Wortmeldungen, gewünscht wurde sich unter anderem, dass Lehrinhalte, die für Genderproblematiken sensibilisieren, nicht optional, sondern verpflichtend in jeden Studiengang eingebunden werden.

Der Film „Fuck Sex - Asexualität als letztes Tabu” klärt über Asexualität auf und lässt verschiedene asexuelle Personen zu Wort kommen. Im Anschluss daran konnten Fragen gestellt werden und eigene Erfahrungen ausgetauscht wurden. Dazu gab es eine Vorwissens- sowie Erwartungsabfrage. Eine Tafel mit (Fach-)Begriffen und Diskussionsthemen gab bei der folgenden Diskussion Anregungen für Fragen und Gespräche, Unklares wurde durch die Referentin Lea Jung beantwortet. Die Veranstaltung lässt sich als voller Erfolg werten, da mehr Teilnehmer*innen kamen, als  erwartet, darunter auch einige nicht-studentische Personen sowie asexuelle und allosexuelle Personen. Es entstanden angeregte, gleichzeitig sehr respektvolle Gespräche und einige Teilnehmer*innen, die zuvor mitgeteilt hatten, das Thema sei vollkommen neu für sie, sind mit Mehrwissen aus der Veranstaltung gegangen.

Im Workshop "Konsens" ging es um die Sensibilisierung für sexuelle Grenzüberschreitungen und die Kompetenz, eigene Beziehungen konsensual zu gestalten. So wurden verschiedene zwischenmenschliche Situationen dargestellt und gefragt, ob in diesen Situationen Konsens gegeben war. Im Fall von fehlendem Konsens sollte überlegt werden, wie man als Außenstehende*r sinnvoll eingreifen und/oder Hilfe anbieten kann. Außerdem sollten Möglichkeiten gefunden werden, selbst in den eigenen Beziehungen Konsens herzustellen.

Im Vortrag "Alternative Verhütungsmethoden" vermittelte die Referentin Monika Kastner ausführliches Wissen über die weiblichen* Geschlechtsorgane, den Ablauf des Zyklus und einigem mehr, zum Beispiel zur Flora und dem Milieu der Vagina und darauf fußend zu sinnvoller Körperhygiene und Menstruationsmethoden. Außerdem wurden ausführlich verschiedene Verhütungsmethoden kritisch betrachtet. Als eine mögliche Alternative zu üblichen Methoden wurde die sympto-thermale Methode in ihren Grundlagen vorgestellt.

"Flach, glatt, gesund: Körper- und Gesellschaftsverhältnisse unter dem Stichwort "Attraktivität"“ betrachtet" gab Louise Haitz einen Überblick über die jeweilige gesellschaftlichen Ordnung von der feudalen Ständegesellschaft bis heute und deren spezifische gesellschaftlichen Sicht auf den „Körper“ auf. Die Trennung von Körper und Geist und dem Körper als Arbeitskraft und etwas vom Geist „zu bezwingendes“, „zu optimierendes“ fand ebenso Erwähnung wie der Zusammenhang zu Kolonialismus und Rassismus. Im Anschluss daran zeigte die Referentin anhand von Beispielen, v.a. aus der Medienwelt und dem Fernsehen, die in unserer Gesellschaft vorherrschenden Körperideale auf und stellte den Zusammenhang zu kapitalistischer Leistungsideologie dar. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Diskriminierung von hochgewichtigen Menschen, in deren Körperform gesellschaftlich nicht nur ein „unschön*“, sondern auch ein „ungesund*“, „faul*“, „unintelligent*“ und „sozial schwach*“ eingeschrieben ist. Dem Vortrag folgte eine sehr anregende Diskussion zum Umgang mit Schönheitsidealen und Körpernormen.

Der Vortrag "Das deutsche Sexualstrafrecht – Alles nur noch Verhandlungssache?" gab einen Überblick über die historischen Fassungen des Sexualstrafrechts mit kurzen Exkursen ins Mittelalter und das alte Rom und erläuterte dann genauer die Änderungen in den letzten beiden Jahrhunderten bis zur heutigen Fassung. Dabei wurden verschiedene gesellschaftliche Sexualitätskonzepte vorgestellt, die den Versionen jeweils zu Grunde lagen bzw. liegen. Die Referentin Anja Goetz zeigte, wie juristisch scheinbar neutrale Begriffe von Sexualstrafrechts-Anwält*innen immer im Rahmen gesellschaftlicher Konzepte von Sexualität und sexualisierter Gewalt interpretiert werden bzw. andersherum gesellschaftliche Sexualitätskonzepte und Vergewaltigungsskripte in das Recht übertragen werden. Ein historisches Konzept ist dabei der „Täter aus Trieb“, während heutige Täterkonzepte oft den „Täter aus Versehen“ proklamieren und ihn dadurch juristisch weniger angreifbar machen. Der Vortrag offenbarte so einer der vielen Problematiken juristischer Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt. Da rechtliche Fassungen Skripte beinhalten, die in die Gesellschaft weiterwirken und übernommen werden, ist die Weiterentwicklung des Sexualstrafrechts hin zu einer Konsensmoral trotz häufig nicht stattfindender Verurteilungen möglicherweise angebracht, um einen Beitrag zur Verhinderung von sexualisierter Gewalt zu leisten.

Mara Schepsmeier, der Produzentin des Films "Maria, Christiane, Else, Karin, Lea, Lydia, Petra S., Petra W. und der § 218" gab zunächst eine Einführung in das Thema Schwangerschaftsabbrüche. Sie stellte klar, dass Schwangerschaftsabbrüche schon seit jeher durchgeführt wurden, und dies unabhängig von den unterschiedlichen medizinischen, gesellschaftlichen und später auch rechtlichen Bedingungen. Der Begriff der Selbstbestimmung geht dabei nicht immer automatisch mit der Möglichkeit des Abbruchs einher, da Abbrüche auch von anderen Akteuren als der schwangeren Person erzwungen werden können und die im  Falle einer Kriminalisierung oder Ächtung oft fehlende ausreichende medizinische Versorgung zu Komplikationen oder dem Tod der schwangeren Person führen kann.  Als Rahmenhandlung des Films wird die Geschichte einer während der Weimarer Republik lebenden Ärztin vorgelesen, die sich aufgrund der verbotenen Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in Haft befindet. Dazwischen werden Interviewsituationen mit verschiedenen Frauen* gezeigt, die selbst abgetrieben haben, darunter eine Frau, die in den 70er Jahren unter gesetzlichem Verbot heimlich abgetrieben hat und schwere gesundheitliche Komplikationen nicht behandeln lassen konnte, sowie einige Frauen*, die in den letzten Jahren die Erfahrung eines Abbruchs hatten. Wie bereits in Einführung und Film kristallisierte sich auch in der anschließenden Diskussion heraus, dass eine freie Entscheidungsmöglichkeit bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen nach wie vor nicht gegeben ist, sowohl in Bezug auf rechtliche Hürden (u.a. dem § 218) wie auf gesellschaftliche Reaktionen.

In dem von Marc Brandt geleiteten Workshop "Critical Maleness" ging es um das Bewusstsein für und den kritischen Umgang mit Privilegien gegenüber nicht-männlichen* Personen. Die Teilnehmenden setzten sich mit den verschiedenen Dimensionen von Männlichkeit auseinander und befassten sich mit Männlichkeitskonzepten, wie sie ihnen in Sozialisation und Erziehung vermittelt worden waren. Männlichkeit in der politischen Arbeit, wobei auch Gruppenstrukturen reflektiert wurden, Männlichkeit beim Flirten und mit Auswirkungen von Männlichkeitskonzepten auf das eigene Leben (etwa auf die Gefühlswelt) waren weitere Themen des Workshops.

Die thematischen Veranstaltungen wurden von einer Reihe von Info-Tischen und Aktionen begleitet, mit denen das Thema der Veranstaltungsreihe auf dem Campus präsent gemacht wurde. Dazu gehörten zwei "Austausch-Cafés", ein Info-Stand, ein Flashmob gegen Sexismus, ein Selbstverteidigungskurs für Frauen, ein Brunch mit offenem Austausch sowie eine "Sofa-Aktion". Dabei wurde ein Sofa aufgestellt, auf dem eine weiblich gelesene Person mit Bechern und Getränkeflaschen so drapiert war, dass sie als betrunken und schlafend zu erkennend war. Am Sofa lehnte ein großes Schild mit der Aufschrift „If I can`t say no, I can`t say yes. #knowno“. Damit wurde vermittelt, dass betrunkene und nicht ansprechbare Personen nicht konsensfähig sind und eine Initiierung von (sexuellen) Handlungen mit dieser Person nicht-hinnehmbare Grenzverletzungen darstellen und zu unterlassen sind. Die Aktion lief für vier Stunden und wurde von zahlreichen Universitätsangehörigen wahrgenommen, es gab etliche positive Feedbacks. 

Den Abschluss bildete das Konzert "Petra und der Wolf".

Partner:

Liste der unabhängigen kritischen Student*innen an der Uni Passau (LUKS)