Natascha Strobl | Einigkeit oder Spaltung - Russland & Ukrainekrieg

Podcast

Folge #09: Ein Spaziergang im Süden

Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl ist Co-Autorin der Bücher Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa sowie Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute? Darüber hinaus schreibt sie zahlreiche Zeitschriftenbeiträge, Buchartikel und Kommentare zu den Themenkomplexen RechtsextremismusFaschismusNeue Rechte und Identitäre in ganz Europa. Seit 2018 schreibt sie auch auf Twitter (Ad Hoc-) Analysen und Einordnungen, um so das Wissen schnell und niederschwellig zu verbreiten mit dem Hashtag #NatsAnalyse.

Wir unterhielten uns mit ihr über die Positionierung der „Querdenken“-Bewegung im Hinblick auf Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. Gibt es Einigkeit, oder ist die Bewegung gespalten?

Zur Folge

Shownotes

„Ein Spaziergang im Süden“. Ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung

Analysen zu Rechtsextremen, Identitären, Neuer Rechte, Faschismus

Putins Krieg und die neue Rechte:

Die Identitären: Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa

Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute?


Transkript 

Carmen Romano: Als im Februar dieses Jahres der Konflikt in der Ukraine anfing, waren wir alle fassungslos. Was mich aber noch fassungsloser gemacht hat, war es, zu sehen, dass sich Freiwillige rechten Milizen sowohl der Seite der Ukraine als auch der Seite Russlands angeschlossen haben. In der letzten Folge haben wir angefangen, uns mit der Neuausrichtung der Querdenken-Bewegung zu beschäftigen, von der Verteidigung der Kinder gegenüber einer vermeintlichen Impfpflicht bis zur Beschimpfung der öffentlichen Medien. Heute beschäftigen wir uns mit einem neuen Thema der Bewegung, nämlich wie sie sich zumUkrainekonflikt positioniert. Gibt es Einigkeit oder ist die Bewegung gespalten? Wir reden darüber mit Natascha Strobl.

Sabine DemsarDu hörst eine neue Folge von „Ein Spaziergang im Süden“, ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung über die Querdenken-Bewegung in Süddeutschland, ihre Entwicklung und was dies für uns alle bedeutet.

Carmen RomanoHallo, Sabine. Heute reden wir mit der österreichischen Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl. Sie ist Co-Autorin der Bücher „Die Identitären: Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa“ sowie „Rechte Kulturrevolution: Wer und was ist die Neue Rechte von heute?“. Darüber hinaus schreibt sie zahlreiche Zeitschriftenbeiträge, Buchartikel und Kommentare zu den Themenkomplexen Rechtsextremismus, Faschismus, Neue Rechte und Identitäre in ganz Europa. Unter anderem hielt sie im April für die Petra-Kelly-Stiftung einen Vortrag über die Spaltung der rechten Szene in Hinblick auf den Krieg in der Ukraine, pro Putin oder pro Ukraine? Seit 2018 schreibt sie auch auf Twitter Ad hoc-Analysen und Einordnungen, um so das Wissen schnell und niederschwellig zu verbreiten, mit dem Hashtag #NatsAnalyse. Wir empfehlen übrigens, ihr sehr gerne zu folgen. 

Guten Morgen, vielen Dank für deine Zeit. Ich würde anfangen mit einer Erklärung, was wir heute machen möchten, denn derThemenkomplex ist ziemlich groß. Also unser Ziel ist, ein differenziertes Bild über die Positionierung gegenüber dem Konflikt zu vermitteln. Und ich würde mit der rechten Szene anfangen, also nicht gleich mit der Querdenken-Bewegung, sondern einem Teil davon. Von außen hat man ja den Eindruck, dass das rechtsextremistische Lager sehr einig und homogen ist. Das ist aber nicht so. Wie sind denn die Loyalitäten gegenüber dem Krieg verteilt? Kannst du das vielleicht kurz schildern? Danke.

Natascha StroblJa, hallo aus Wien. Es ist tatsächlich so, dass die rechte Szene, die extreme Rechte, in den letzten Jahren sehr stark versucht hat, sich zu einigen, sich hinter gewisse Themen zu stellen und diesen Kulturkampf zu führen, auch wenn man sonst in sehr vielen Dingen nicht einig ist. Das hat sich besonders gezeigt in dieser Corona-Zeit, wo man dann, ob man es wirklich geglaubt hat oder ob man das einfach genutzt hat, um die Gesellschaft zu spalten, ist unterschiedlich, aber man hat sich dahinter versammelt. Dieser Krieg gegen die Ukraine birgt jetzt aber einen ziemlich großen Sprengstoff für die Szene, denn hier geht es tatsächlich um ideologische Standpunkte, die man nicht so einfach aufgeben kann. Die Szene ist nicht so einig wie es den Anschein macht. Es gibt ein sehr starkes pro-russisches Lager. Das zeigt sich auch sehr öffentlich. Das ist in diesem Verschwörungsmilieu daheim. Das ist alles, was rund um diese Zeitschrift „Compact“ ist, dieses Verschwörungslager. Aber es gibt traditionell sehr starke Bindungen, auch in die Ukraine. Nicht dasselbe Lager, aber sehr stark im neonazistischen Milieu und sehr stark in einem Milieu, das ein Selbstverständnis hat, über Musik, über Musikfestivals, über Fanzines, Bands und so weiter,Verlage. Und das ist auch sehr stark ideologisch begründet. Das ist sehr stark in diesem Europa-Gedanken, Europa verteidigen gegen Russland, da ist auch noch dieses Kalte Krieg Russland-Bild sehr stark vorhanden und das ist nicht nur so daher gesagt, sondern wie schon erwähnt, ist das dann oft auch damit verbunden, dass man das tatsächlich in die eigene Hand nimmt und Kriegserfahrung sammeln möchte, das heißt, mit der Waffe in der Hand den eigenen Überzeugungen Ausdruck verleihen möchte auf einem Schlachtfeld.

Carmen RomanoOkay, ja, das ist schon krass zu hören, so deutlich gesagt, denn man denkt auch sofort, wofür möchten sie denn diese Kriegserfahrungen sammeln und für was möchten sie die dann später einsetzen? Aber kommen wir vielleicht mehr in Richtung unseres heutigen Themas. Also bei unserer Veranstaltung im April hast du geschildert, wie die Ukraine für die neuen Rechten eine Projektionsfläche für die Verteidigung Europas und die europäische Kultur gegen eine vermeintliche kommunistische Bedrohung seitens Russlands bietet, wie du eben geschildert hast, so dieses politische Spektrum aus dem Kalten Krieg. Kannst du das vielleicht genauer schildern für diejenigen, die unsere Veranstaltung nicht gesehen haben? Liegt es vielleicht daran, dass auch ein gewisses, nennen wir es Werbungspotenzial, entsteht, für die Unterstützung der Rechten, die sich eben als die guten Verteidiger Europas verkaufen möchten?

Natascha StroblGenau. Es ist wirklich sehr komplex, aber man muss sich leider hineindenken, was die glauben. Die pro-ukrainische extreme Rechte, die sehr stark in diesem traditionellen Neonazi-Milieu verhaftet ist, die sehen diesen Krieg wirklich als Verteidigung Europas nach Außen. Und dieses Außen ist Russland und das wird dann sehr stark völkisch begründet. Also die russischen Republiken, wo die Leute dann nicht europäisch genug ausschauen in Tschetschenien und so weiter, das wird ganz klassisch völkisch neonazistisch begründet. Und dieses Russland-Bild mit Russland, das ist der Kommunismus, Russland, das ist der Kalte Krieg, Russland, das ist die russische Revolution 1917, was natürlich gar nichts mehr mit diesem Russland der Gegenwart zu tun hat. Aber das ist egal, denn dieses Bild ist so stark aufrecht und dieses Feindbild ist so stark aufrecht. Die Ukraine wird dann herbei phantasiert als dieses Land der Weißen, also dieses Land der blonden, weißen, Blauäugigen, die nie so wirklich zu dieser Sowjetunion gehört haben, sondern die immer schon dieser Hort des antikommunistischen Widerstands waren, ganz viel Projektionsfläche natürlich, und die muss man jetzt verteidigen. Und was hinzukommt, was wir vorhin schon angedeutet haben, ist diese Verlockung, Krieg spielen zu können. Krieg spielt eine ganz zentrale Rolle im Neonazismus generell. In der extremen Rechten sind Kriegsideologien sehr präsent, für die ist das ganze Leben ein Krieg, ein gesellschaftlicher Krieg. Und wenn sie diesen Krieg aber auch tatsächlich erleben können, also es muss nicht mal passieren, aber allein die Vorstellung, dass sie könnten, ist dann schon ganz, ganz wichtig, weil sie natürlich die Helden sein wollen. Also dieses heldische Denken, dieses soldatische Denken, dafür bietet dann die Ukraine eine gewisse Projektionsfläche. Das ist in diesem Aspekt vergleichbar mit dem Dschihad, wo auch diese Helden-Ideologie ganz wichtig ist und wo dann diese jungen Männer sind, immer junge Männer, die sehr anfällig dafür sind, mit Versprechungen von Glanz und Gloria und Heldentum in einen Kriegsschauplatz gelockt werden. Und die Realität ist dann natürlich eine andere, denn wir wissen alle: Krieg ist furchtbar, Krieg ist grausam, Krieg ist kein Heldentum. Und das ist das, was dieser pro-ukrainische Teil der extremen Rechten, nicht erst seit diesem Jahr, sondern schon seit 2014, verfolgt, schon davor haben sich diese Kontakte intensiviert, sehr stark, wie gesagt, auch über Musik, die da eine große Rolle spielt. Und die ukrainische extreme Rechte, das ist auch sehr diffus und auch sehr im Wandel begriffen, es gibt auch einenaußerparlamentarischen Teil der extremen Rechten in der Ukraine, der sehr stark Kontakte nach Europa gesucht hat und das sehr professionell mit einem PR-Projekt auf die Beine gestellt hat und bei allen Konferenzen zugegen war und dort sehr eloquent die Ukraine als diesen Hort der Weißen, die da verteidigt werden müssen gegen das asiatische Russland, dargestellt haben.

Sabine DemsarJa, das ist schwer zu fassen, finde ich. Gerade diese Heroisierung des Heldentums, das finde ich wirklich unglaublich zu hören, angesichts dessen, was Krieg eben tatsächlich verursacht. Wenn wir jetzt mal auf die Querdenken-Bewegungen schauen, da können wir ja den Eindruck gewinnen, dass in diesen riesigen Telegram-Gruppen eher pro-russische Verschwörungsmythen verbreitet werden. Wir haben in der Folge mit Andreas Speit auch darüber gesprochen, dass Influencer*innen wie zum Beispiel Xavier Naidoo ausgestiegen sind oder verkündet haben, dass sie ausgestiegen sind, denn seine Frau ist aus der Ukraine und Andreas Speit hat vermutet, dass es vielleicht auch damit zusammenhängen könnte, dass er deswegen diesen Schritt zurück gegangen ist. Kannst du uns etwas dazu sagen, was so die meistverbreitetenVerschwörungsmythen, Fake News sind, zum Thema Ukraine-Krieg in der Querdenken-Bewegung? Und warum sich das Querdenkertum doch relativ einig ist in Bezug auf eine starke traditionalistische russische Gesellschaft gegen den dekadenten postmodernen Westen?

Natascha StroblDa sieht man, wie diffus das alles ist und das ist sehr interessant. Gerade der Aspekt mit Xavier Naidoo, das wusste ich auch nicht. Aber wenn dann die Vorstellung auf die Realität trifft und das nicht mehr zusammenpasst, dann sieht man ja, wie schnell die Realität doch gewinnt. Und das ist auch eine Lehre, dass dann nicht dieses Ideologische existiert, sondern wenn man dann selbst spürt, was das heißt, dass es dann doch den Rückzug gibt, auch von so Ikonen wie Xavier Naidoo. 

Wir haben jetzt vorhin geredet über diese ganz klassisch traditionell organisierte, vor allem neonazistische Szene. Das ist die neonazistische Szene, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen. Und jetzt haben wir es hier auch mit Querdenken zu tun, mit einer neuen Form der Organisierung, mit einem viel diffuseren Rechtsextremismus. Es ist ein Rechtsextremismus, gepaart mit sehr vielen diffusen verwandten Szenen, die da hineingezogen werden. Aber der Hauptaspekt dieser Szenen ist das Verschwörungsdenken, das heißt, alles ist nicht so, wie es scheint. Das ist ein Krisen-Phänomen, das ist so in Krisenzeiten, wenn alles sehr fragmentiert, alles sehr unsicher wird, dann gibt es immer die Leute und das sehen wir auch schon vor hundert Jahren, die dann sagen „na, ob da nicht ein ganz großer Plan dahintersteht“. Denn wenn dieser ganz große Plan dahintersteht, dann kann man sich wieder neu orientieren und dann kann man sagen „okay, die Welt ist nicht so in ihrer Auflösung begriffen, wie es gerade wirkt, sondern es gibt das Böse. Und wenn wir diesem Bösen habhaft werden, dann ist die Welt wieder okay, dann ist sie wieder geordnet, dann ist sie wieder sicher, dann kenne ich mich wieder aus“. Das ist der Sinn von Verschwörungsdenken. Das ist auch der Grund, warum dieses Verschwörungsdenken gerade in diesen Zeiten so stark wird und warum das so eine Anziehung hat. Und jetzt haben wir dieses Verschwörungsdenken nicht erst seit Corona, es ist natürlich ein Hoch zur Zeit Corona, aber diese gesellschaftlichen Erosionsprozesse sind ja auch schon sehr viel früher spürbar geworden. Und jetzt kam dieser Krieg. Und was haben sie gemacht? Sie haben einfach genau das Schema, das sie auf Corona, die Flüchtlingskrise und so weiter angewandt haben, auf diesen Krieg angewandt, das sind quasi alles verschiedene Nuancen derselben Verschwörung. Und das ist auch, weswegen man diese Verschwörungen nie entlarven kann, weil es dann immer etwas Neues gibt und es ist immer „genau so haben wir es immer schon gesagt und das passt jetzt wieder haargenau so, wie wir es gesagt haben, dazu“. Da ist natürlich ein Antiamerikanismus dahinter, der ganz klar ist, der die NATO in der Schuld sieht. Ich möchte jetzt kein Loblied auf die NATO singen, aber dass diese Situation verfahrener ist oder komplexer ist, als dass man sagt, „wenn die NATO das nicht gemacht hätte, dann wäre das nicht passiert“, ist auch klar. Vor allem, weil es eine komplette De-Politisierung ist von Putin und von Russland, das ist aber auch gewünscht. Denn auch Putin wird zu dieser Projektionsfläche. Putin wird zu diesem starken Mann, der sich hier nur verteidigen will, der jetzt nicht mehr zuschauen möchte bei all dem, was da im Westen passiert. Das wird als verständlich dargestellt und da gibt es eine Gegenüberstellung der russischen Gesellschaft, also einer wertebasierten, einer auf Ehre basierenden Gesellschaft, gegen diese dekadente Gesellschaft in Europa.

Das ist nicht nur etwas, das in Europa so gesponnen wird von Querdenkern oder diesem Verschwörungslager, sondern es ist auch aktiv etwas, was aus Russland kommt. Es ist auch da sehr komplex und sehr schwierig, das nachzurecherchieren, das haben viele Leute versucht, in Bezug auf diese Troll-Fabriken und diese Bots, die vor allem in Social Media-Diskussionen eingreifen. Aber klar ist, auch wenn unklar ist, bis zu welcher Quantität oder Qualität, dass diese Spins sehr aktiv seit vielen Jahren aus Russland kommen, zur Destabilisierung, vor allem vor Wahlen. Wir haben das gesehen in den USA, in Frankreich hat man es gesehen, bei anderen Wahlen wird es wohl auch so gewesen sein, „die westliche Demokratie ist schlecht, das russische autokratische System ist gut“ und das wird dann übernommen. Eigentlich sehr parallel zu dem, was vor hundert Jahren geschehen ist, damals war es die Moderne, die schlecht war, der Durchbruch der Moderne, und jetzt ist es quasi dasselbe mit der Postmoderne. Also, „bis dahin war es okay, aber jetzt das mit dem Gendern und dann kommen noch die und die und die, das ist jetzt schlecht, und das muss man jetzt zurückdrehen, das muss man stoppen, das geht demokratisch nicht, da braucht es einen starken Führer, so wie in Russland, dort ist alles in Ordnung“. Und dann besinnt man sich wieder auf traditionelle Werte. Das hat ganz, ganz viele Aspekte, das hat gesellschaftliche Aspekte, das hat technische Aspekte, das hat aber auch Aspekte wie Ordnung, vor allem auch ein geordnetes Arbeitsleben, also dieser Rückgriff auf feudale Ideen. Und das funktioniert, und das ist auch etwas, was dann parallel zu den Verschwörungserzählungen funktioniert, in Krisenzeiten, in fragmentierten Zeiten, wo es nicht weitergeht oder wo man nicht weiß, wie es weitergeht, zu sagen, „na ja, dann lieber zurück ins Jahr 1900 oder 1800 irgendwas, weil da war die Welt zumindest noch überschaubar für mich“.

Sabine DemsarDie nächste Frage hast du eigentlich auch schon teilweise beantwortet, also dass Russland direkten Einfluss nimmt. Würdest du sagen, dass das Thema Krieg in der Querdenken- Bewegung so groß wird, dass das tatsächlich nur von Russland forciert wird? Oder ist das doch ein Thema, das von der rechten Szene hineingebracht wurde? Kannst du etwas dazu sagen, wer das hineingebracht hat? Und das Warum hast du ja letztlich schon beantwortet, also es ist irgendwie eine Lücke frei geworden, die Corona-Maßnahmen sind zurückgetreten und irgendwas muss wieder reinkommen, so ist mein Eindruck.

Natascha StroblGenau. Deswegen ist es auch so ein Irrglaube zu sagen, wenn man ihnen bei den Corona-Maßnahmen entgegenkommt und sagt „ja, da haben sie schon ein bisschen recht“, dann hört das auf. Aber es hört nicht auf, es wird nur ersetzt. Und sollte dieser Krieg, wir hoffen ja bald und wir hoffen natürlich zu Ungunsten Putins, zu Ende sein, dann wird es danach wieder etwas anderes geben, weil eine Krise auf die nächste folgt und es wird jede Krise genutzt werden. Das heißt, man kann ihnen da nicht entgegenkommen und glauben, damit gräbt man ihnen das Wasser ab, so funktioniert Verschwörungsdenken nicht. Und deswegen ist es auch, warum sie sich diesem Thema Krieg jetzt angenommen haben. Es war notwendig, sich dazu zu positionieren, weil es so ein großes Thema ist, muss man das tun, und dann hat man das eben eingefügt in das eigene Weltbild. Natürlich ist das nicht vom Himmel gefallen, 2014 gab es schon die Montagsmahnwachen, also dieser verschrobene Antiimperialismus, der dann nicht mehr auf einer realen Analyse der Welt funktioniert, sondern nur noch in einer Verschwörung existiert, der war schon die Basis dieser Montagsmahnwachen 2014 und ist es auch jetzt wieder. Und natürlich trifft das auf Leute, die schon so eine Grundeinstellung haben und sagen „ja, wenn es die USA sind, dann ist es sicher schlecht“ und „so jemanden wie den Putin bräuchte man auch“ und so kann man da noch weitermachen. Aber dass man auch Leute wieder verliert, das ist ja auch das interessante, also Leute, die gegen die Corona-Maßnahmen sind, aber sagen „ja, aber ich habe doch irgendwelche Kontakte in die Ukraine, das kann ich jetzt nicht nachmachen“, da sind dann immer die Bruchstellen oder das ist dann das Prekäre, wenn sich diese Themen wandeln. Aber, das sieht man ja, ein gewisser Teil ist geblieben und wird auch beim nächsten Thema und das ist dann was auch immer, die Klimakrise, Energieknappheit, und so weiter, das wird dann genauso wieder in die Verschwörung eingefügt.

Sabine DemsarJa, und das kulminiert dann wahrscheinlich im Herbst oder Winter, wenn so vieles aufeinander kommt.

Carmen RomanoOkay, ja, ich meine wir nehmen jetzt Mitte September auf und gestern oder vorgestern gab es schon Proteste von der ver.di, dass das Unterstützungspaket der Regierung nicht genügt, um das Leben der Leute gegenüber der Inflation aufrecht zu erhalten. Also man sieht schon, dass dieses Thema kommt.

Natascha StroblIch finde es aber gut, wenn die Gewerkschaften sich dem annehmen, weil dann verhindert man, dass das abdriftet. Es ist ja eine reale Krise, die kann man nicht leugnen. Und wenn dann Kräfte wie die Gewerkschaften sagen „wir schauen uns das aber real an und befinden, das passt nicht und haben Forderungen und protestieren dagegen“, das ist wirklich ein geeignetes Mittel. Statt dass wir jetzt dann wieder darüber reden, ob wir alle kontrolliert werden von etwa Soros, Gates, ich weiß nicht, wer es jetzt bei der Ukrainekrise ist oder bei der Energieknappheit. Genau. Aber uns steht auf jeden Fall ein sehr harter Herbst und Winter bevor.

Carmen RomanoAuf jeden Fall. Vielleicht nochmal eine Rückfrage dazu, was du gerade angesprochen hast. Ich habe so den Eindruck, von dem was du erzählt hast, ist es schon klar, warum die rechte Seele der Bewegung eher pro Russland ist. Aber wir haben in den letzten Folgen auch schon gesehen, wie vor allem in Süddeutschland dieses Esoteriker-Milieu sehr verbreitet ist in der Querdenker-Bewegung. Und das würde ich politisch eher in so ein linksalternatives Milieu einordnen. Wie passt dann dieses Milieu zu der Verteidigung von traditionellen Werten und dem Vorbild von Putins Russland? Also wie passt das zusammen?

Natascha StroblIch versuche es zu erklären mit der Feststellung, dass es eines der größten Missverständnisse der letzten 30oder 40 Jahre ist, dass Esoterik etwas Linkes ist. Wenn wir uns die Entstehung der Esoterik anschauen, fällt das auch in diese Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts, da ist unglaublich viel passiert. Aber das ist auch wirklich die Entstehung der modernen Esoterik und wir sehen von Anfang an, dass sie sehr stark mit anti-modernistischen und völkischen Idealen verbunden waren. Das hängt auch damit zusammen, dass Umweltschutz nichts Linkes oder Progressives war am Anfang. Also im Konservations-Gedanken, also konservieren, da steckt auch schon der Konservatismus drinnen. Das ist progressiven Bewegungen, gerade in der Nachkriegszeit, zu verdanken, dass dieser Umweltschutz-Gedanke ein progressiver Gedanke geworden ist, das ist ein großer Verdienst. Und dieser Umweltschutz, Heimatschutz, raus in die Natur, weg von der Stadt, denn in der Stadt sind all die Gruppen, die man nicht mag, es ist auch ein Antisemitismus drinnen, diese Entdeckung des Lands, diese Idealisierung der Landbevölkerung, das ist alles so Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, sehr stark in der Jugendbewegung, sehr stark in völkischen, antisemitischen Bewegungen, nicht nur, es gibt auch immer diesen proletarischen Freizeit-Vereine-Ansatz. Aber ich sage, es war sehr stark dort und die Esoterik hat Überschneidungen dort hinein und passt natürlich auch in dieses Umbruchs-Apokalypse. Man hat sich sehr stark mit Geistern und Kontakten ins Jenseits aus dem ausgehenden viktorianischen Zeitalter auch in England und in Resteuropa beschäftigt. Das ist sehr stark aus bürgerlichen Milieus gekommen, die ja auch diese Unruhe gespürt haben. Es war sehr stark eine Ablehnung der Moderne, der modernen Welt. Und dieses, sich selbst reinigen, sich selbst perfektionieren, das ist eben auch sehr stark mit rassischen Überlegungen einhergegangen. Also auch sehr stark mit sozialdarwinistischen Gedanken, also kranke Menschen sind selbst schuld, wer behinderte Kinder bekommt, hat irgendwas falsch gemacht und so weiter. Und einerseits, dieser anthroposophische, der dann auch in den Bildungsbereich übergegangen ist, Flügel und dann eben sehr stark auch diese völkische Esoterik, die dann Faschismus im Nationalsozialismus, in diesem SS-Flügel der Nazis beheimatet war. 

Und das ist dann nach 1945 nicht in der Form reflektiert und aufgearbeitet worden und hat sich dann wieder sehr stark mit diesem Umwelt-Gedanken vereinigt, weswegen es dann in diesen alternativen Milieus gelandet ist. Aber es war in seiner Struktur nie etwas progressives, weil es ja überhaupt nicht mit einer materiellen Wirklichkeit gearbeitet hat, sondern sehr stark auf Selbstverbesserung, „ich bin auserwählt, weil ich kann mit Engeln reden“-Gedanken und sehr stark auf Individuen und sehr stark auf individuelle Schuld ausgelegt ist.

Sabine DemsarJa, das hat Dietrich Krauß in der Folge, die wir mit ihm hatten, auch nochmal ausgeführt, dass es genau darum geht, da gibt es viele Schuldzuweisungen aus vorigen Leben und dergleichen mehr. Aber es ist trotzdem schwer, das dann nur in der heutigen Zeit auseinander zu dividieren.

Natascha StroblAbsolut. Und es ist ja auch wieder so diese Krisenzeit, das hat eine ähnliche Funktion wie Religion, ohne es jetzt direkt zu vergleichen. Aber es gibt auch Aspekte von organisierter Religion, die sehr mit dieser Überwältigung und sehr stark mit diesen negativen Emotionen funktionieren. Und es ist vor allem eine Ablehnung der Wissenschaft. Also die Moderne wird abgelehnt, in ihrer Technik-Affinität, auch in den Gesellschaftsordnungen, aber auch sehr stark in ihrem Fundament der Wissenschaftlichkeit. Fühlen wird dann genauso wichtig wie Wissenschaft und jeder individuell darf fühlen und sprechen mit Geistern oder was auch immer, aber das ist überhaupt nicht mehr nachvollziehbar für jemand anderen. Und das dann auf eine Ebene zu stellen mit, „ich habe hier ein Experiment gemacht, hier, das sind die Fakten, du kannst das wiederholen und nachvollziehen“ ist schwierig, weil es genau an den Fundamenten rüttelt, wie wir überhaupt Erkenntnis oder Wahrheit erfahren.

Carmen RomanoKommen wir zum Schluss. Und ich würde bei den Werten bleiben, denn während dieser Reihe haben wir gesehen, dass Logik und Rationalität in diesem ganzen Diskurs kaum eine Rolle spielen, sondern vielmehr Werte, Gefühle. Ich finde es total spannend zu sehen, dass du heute für uns geschildert hast, wie die Verteidigung der traditionellen Werte zu zwei komplett unterschiedlichen Positionierungen gegenüber dem Krieg geführt hat. Wir haben gesehen, einerseits möchten die einenRechten die Verteidigung Europas und stehen dann auf der Seite der Ukraine. Andererseits möchten die anderen die Verteidigung von traditionellen Werten, die eben in Putins Russland verkörpert sind. Also das ist ziemlich krass zu sehen, wie die Schlussfolgerungen so unterschiedlich sein können. In unserem Intro sind die Parolen einer Demo in Stuttgart, „Frieden, Freiheit, Demokratie“, zu hören. Was bedeuten dann diese Parolen tatsächlich für die Querdenken-Bewegung in puncto Ukrainekonflikt?

Natascha StroblIch glaube für ganz viele ist die die Ukraine, wie gesagt, nur eine Projektionsfläche. Frieden? Aber welcher Frieden? Was bedeutet Frieden? Bedeutet Frieden, man lässt sich abschlachten oder man lässt sich besetzen? Bedeutet Frieden, man gibt nicht auf, bis der Feind geschlagen ist? Bedeutet Frieden eine Verhandlung? Wenn ja, wer? Mit wem? Zu welchenBedingungen? Auf welcher Basis? Also Frieden ist natürlich ein Wert, den alle vertreten. Das ist ein wichtiger Wert. Ich halteauch wenig davon, die Friedensbewegung so in den Dreck zu ziehen. Das ist historisch eine der wichtigsten Bewegungen, die es gibt, auch gerade in Europa, aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. Trotzdem muss man immer aufpassen, was wer damit meint, es kann auch das genaue Gegenteil meinen. Es kann auch heißen, zu genau den Ungunsten der Leute, die eigentlich jetzt am stärksten davon betroffen sind und das geht dann natürlich nicht. Genauso mit Freiheit. Wessen Freiheit? Das haben wir schon bei Corona gesehen. Die Freiheit derer, die im Baumarkt keine Maske tragen wollen oder die Freiheit von herz- und lungenkranken Kindern, dass die auch wieder teilnehmen können in der Gesellschaft. Also wer ist gemeint? Und das ist immer das Problem, dass da so Parolen gerufen werden. Natürlich, hinter denen kann man sich versammeln. Aber so diffus wie diese Bewegung ist, so diffus sind dann auch die Parolen und so gut es klingt, aber genau diese Begriffe können dann eigentlich auch als Waffe gegen Menschen verwendet werden und die werden auch verwendet.

Carmen RomanoJa, vielen Dank. Eine starke abschließende Parole für unsere Folge. Vielen Dank, Natascha Strobl, dass du dirZeit für uns genommen hast.

Natascha StroblSehr gerne.

Carmen Romano: Ich fand die Aufgabe, die wir heute auf uns genommen haben, extrem schwierig, also ein differenziertes Bild zu vermitteln. Aber ich glaube, wir haben das schon gut hingekriegt. Vor allem denke ich, es ist sehr spannend zu sehen, wie viele unterschiedliche Perspektiven in diese Debatte hineinkommen. Wir haben gehört von dieser Heroisierung des Heldentums im rechten Spektrum, die eben auch auf beiden Seite kämpfen möchte, um Kampferfahrungen zu sammeln. Wofür, fragen wir uns. Aber auch dieses Land, die Ukraine, die nicht wirklich als Land an sich, mit den Leuten, die dort wohnen, wahrgenommen wird, sondern eben als Projektionsfläche, als Mittel, um weiter in diesem Verschwörungsdenken zu argumentieren, abseits von der Lebensrealität der Menschen, die dort wohnen. Aber ja, das hilft uns vielleicht, weiter zu verstehen, mit welchen Themen die Bewegung sich in Zukunft beschäftigen wird. Du hast ja eben angedeutet, es wird dann eine weitere nächste Krise kommen und dieselben Argumentationen werden dann weitergeführt. Das hilft vielleicht auch, diese Podcast-Reihe aktuell zu halten, auch nachdem die Konflikte hoffentlich bald vorbei sein werden. Ja, danke, es war wirklich super spannend.

Natascha StroblVielen, vielen Dank, dass ich da sein durfte. Es war echt sehr kurzweilig, trotz des Themas. Dankeschön.

Sabine Demsar: Dankeschön. Es bleibt diffus, wie du gesagt hast. Genau. 

Ja, das war es für diese Folge. In der nächsten Folge fragen wir uns mit Dr. Michael Blume, dem Antisemitismusbeauftragten in Baden-Württemberg, wie es dazu kommt, dass Antisemitismus auch während der Corona-Pandemie die einfachste Antwort auf eine komplexe Welt zu sein scheint und wie Institutionen damit umgehen und was sie tun, um aufzuklären und sich dem entgegenzustellen. Abonniere unseren Podcast unter Petra-Kelly-Stiftung in der Podcast-App deiner Wahl, um neue Projekte wie diese zu hören. Wir sind Sabine Demsar und…

Carmen RomanoCarmen Romano…

Sabine DemsarUnd sagen Tschüss und bis zum nächsten Mal!