Energiewende 2.0

"Energiewende 2.0." , Tagung in Kooperation mit der Akademie für politische Bildung in Tutzing (22.11. bis 23.11.2019)

Podiumdiskussion im Rahmen der Tagung "Energiewende 2.0."

Wege zu sauberen, sicheren und bezahlbaren Lösungen

Ein Zukunftsthema ersten Ranges – und zwar regional, national und global: der Klimaschutz. Obwohl die Wege zu diesem Ziel nach wie vor kontrovers diskutiert werden, ist eines inzwischen klar: Ohne „Energiewende“ kein Klimaschutz! Dabei darf die Energiewende nicht auf die „Stromwende“ verkürzt werden, vielmehr umfasst sie auch die Sektoren Wärme und Mobilität. Stand und Perspektiven der Energiewende waren Themen einer Tagung, die die Akademie in Zusammenarbeit mit der Petra-Kelly-Stiftung veranstaltete.

Profilbild von Prof. Dr. Miranda Schreurs (Hochschule für Politik München)
Prof. Dr. Miranda Schreurs (Hochschule für Politik München)

Auch wenn der Eindruck manchmal ein anderer sein mag, „wir haben wirklich erst nur angefangen mit der Energiewende“, stellte Miranda Schreurs von der Hochschule für Politik München nüchtern fest. Und obwohl es sich um ein globales Problem handele, so Schreurs, lohne es sich, dass Deutschland den eingeschlagenen Weg fortsetze und ein Modell für andere Weltregionen werde. Dabei ist eines klar: Die Energiewende braucht Akzeptanz. Wobei die Grenzen von Akzeptanz gerade in der Windenergie, immerhin die wichtigste Stütze der erneuerbaren Energie, zuweilen deutlich werden. In der Energiewende treffen zwei miteinander verschränkte Megatrends aufeinander: Energieeffizienz und Digitalisierung. Gerade für strukturschwache Regionen biete sich hier eine große Chance, wie das Beispiel Bottrop Innovation City zeige. Dass Energieeffizienz funktionieren kann, zeigt Japan: Nach Fukushima, als der Strom plötzlich knapp wurde, weil vorübergehend nahezu alle Atomreaktoren abgeschaltet wurden, schafften es die Verbraucher, durch eine Vielzahl kleiner Schritte ca. 10 % des Gesamtstromverbrauchs einzusparen.

Portrait von Prof. Dr. Sebastian Oberthür (Vrije Universiteit Brussel)
Prof. Dr. Sebastian Oberthür (Vrije Universiteit Brussel)

Von einer „nachlaufenden Untersteuerung“ sprach Sebastian Oberthür (Institute for European Studies, Vrije Universiteit Brussel). Er beschrieb damit den Prozess, dass zwar etwas passiere auf europäischer Ebene, aber immer zu wenig und immer zu spät. Zwar sei man beim Strom „auf einem guten Weg“, bei der Energiereduzierung von Gebäuden aber „hinterher hinkend“ und beim Thema Mobilität „stark zurück liegend“. Die Anhebung der Energieeffizienz, so konstatierte Oberthür, würde alles einfacher machen. Insgesamt könne man die Lösung des Problems nicht von der EU erwarten, aber zumindest einen guten Beitrag. Besonders die Ausweitung des Emissionshandels, wie es im „European Green Deal“ vorgesehen ist, sieht er als Instrument, dem Ziel der EU, 2050 klimaneutral zu sein, näher zu kommen.

Der Frage, wie sich Menschen entscheiden, z.B. in Bezug auf Neuerwerb oder dem Austausch einer Heizungsanlage ging die Psychologin Elisabeth Dütschke vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe nach. Dabei sind die Abwägung von Kosten und Nutzen, die individuelle soziale und normative Prägung sowie die affektive Bewertung (Angst, Wut etc.) zentrale Determinanten. Hinzu kommen Persönlichkeitseigenschaften (Offenheit für Neues, Gewissenhaftigkeit etc.) sowie Vorwissen und auch situative Faktoren (Zeitdruck, Stimmung). Im energiepolitischen Zieldreieck Klima- und Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit sowie Bezahlbarkeit sind ganz viele Leute versammelt, „die etwas Bestimmtes tun oder lassen sollen.“ Daraus bildet sich die Akzeptanz, die für die Energiewende wegen ihrer dezentralen und zahlreichen Auswirkungen auf die Menschen von grundlegender Bedeutung ist. Ca. zwei Drittel der deutschen Bevölkerung, so zeigen regelmäßige Umfragen, stimmen der Energiewende zu. Dabei wird der Solarenergie, gefolgt von Wasserkraft und Wind die höchste Akzeptanz entgegengebracht. Kohle und Kernenergie bilden mit Abstand die Schlusslichter.

 

Energiewende: Bezahlbar, natur- und sozialverträglich, sicher?

Andere Untersuchungen zeigen, dass die Zustimmung zu den erneuerbaren Energien noch höher wäre, wenn die Kosten „gerechter“ verteilt würden. Stephan Sommer vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, widmete sich den Kosten der Stromwende. Jährlich fallen ca. 25 Mrd. Euro absolute, direkte Kosten an, die durch die EEG-Umlage (6,5 Cent pro KWh) finanziert werden. Dieser jährliche Betrag wird bis 2023 auf 54 Mrd. Euro ansteigen, „finanziert durch die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sowie durch den Energie- und Klimafonds.“ „Etwa zwei Drittel der Haushalte“, so Sommer, „halten die Energiewende für teuer, die Hälfte empfindet sie als ungerecht und ist mit ihrer Umsetzung unzufrieden.“ Besonders die Ausnahmeregelungen für die Industrie bei der Zahlung der EEG-Umlage werden als nicht gerecht empfunden.

Profilbild von Kai Schlegelmilch (Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft) in Tutzing
Kai Schlegelmilch (Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft)

Darauf, dass das derzeitige Steuersystem kaum ökologische Anreize gebe, wies Kai Schlegelmilch (Forum Ökologisch-soziale Marktwirtschaft e.V., Berlin) hin. Die niedrigen Preise fossiler Brennstoffe setzen Fehlanreize. Dabei ist das Problem, „dass die Preise nicht notwendigerweise korrekt (externe Kosten bleiben unberücksichtigt) und politisch beeinflusst sind (Subventionen, Steuer- und Abgabensystem).“ Eine sinnvolle Energiesteuerreform müsste Schlegelmilch zufolge folgendes beinhalten: 1) Ausrichtung der Steuersätze im Wärme- und Verkehrssektor an Energiegehalt und CO2-Intensität, 2) Energiekomponente sektorspezifisch, CO2-Komponente sektorübergreifend einheitlich, 3) Einführung eines CO2-Mindestpreises im Stromsektor durch Ausweitung des Anwendungsbereichs der Energiesteuer auf Einsatzstoffe der Stromerzeugung, und schließlich 4) Zielgerichtete Verwendung der Mehreinnahmen (Kompensation, Strompreissenkung). Die Verteilungswirkung auf die privaten Haushalte hängt dabei entscheidend von der Verwendung der Steuereinnahmen ab: Absenkung von Strompreisbestandteilen, Auszahlung einer Klimaprämie und Investitionen.

Profilbild von Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick in Tutzing
Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick (Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie)

Eine „massive aktuelle Schieflage“ mit Beschlüssen zum Ausstieg (Kern- und Kohleenergie), „aber keine konsistente Strategie für den „Einstieg“, stattdessen Schwarzer-Peter-Spiel, das Zeit und Vertrauen kostet“, konstatierte Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Die Kontroverse macht sich vor allem am Ausbau der onshore-Windenergie fest. Hier sind, obwohl ohne den massiven Ausbau der Windenergie die Stromwende nicht möglich scheint, „die Zahlen signifikant in die Knie gegangen“. „Wir wissen, was wir tun müssen, aber wir verlieren deutlich an Geschwindigkeit!“, so Fischedick. Welche Alternativen sind denkbar? Zentral in der Diskussion stehen für ihn drei Ansätze: Stärkerer Ausbau der Photovoltaik, deutliche Erhöhung der Energieeffizienz und Verbreitung von suffizienteren Lebensstilen. „Die Erhöhung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien aber auch Netzinfrastruktur stößt zunehmend auf geringere gesellschaftliche Akzeptanz.“

Erneuerbaren Strom auf allen Netzebenen zu produzieren, reicht aber nicht aus. Er muss auch zu den verschiedenen Verbrauchern (Industrie, Landwirtschaft, Endkunden) transportiert werden. Dabei haben Übertragungsnetzbetreiber wie Tennet für die Versorgungssicherheit zu sorgen. Eine anspruchsvolle Aufgabe, wie Markus Lieberknecht, Pressesprecher bei Tennet, hervorhob. Das neue Stromsystem: „Lokal und manchmal in großer Entfernung zu Industriezentren und Speicheranlagen produzierte erneuerbare Energien liefern Strom in Abhängigkeit von der Witterung auf allen Netzebenen.“ Noch geringe Speichermöglichkeiten, Volatilität der Wind- und PV-Einspeisung verbunden mit dem Ausstieg aus Atomenergie und Kohleverstromung machen ein Einspeisemanagement nötig, dass in der Lage ist, im nationalen wie europäischen Verbund kritische Situationen zu meistern. Grundlage für die Energiewende, und dies ist politisch durchaus heftig umstritten, ist ein leistungsfähiges Höchstspannungsnetz, das den Windstrom aus dem Norden Deutschlands in den Süden (z.B. Südlink) leiten kann.

 

Die drei Sektoren: Strom, Wärme, Mobilität

Podiumdiskussion im Rahmen der Tagung "Energiewende 2.0."
Von links nach rechts: Manfred Schwarzmeier (Tagungsleitung), Jonas Jarass (Tagungsleitung), Dr. Robert Brandt, Martin Randelhoff und Krisztina André

„Die Energie- und Mobilitätswende ist mit Erneuerbaren bis spätestens 2030 möglich“, glaubt Krisztina André vom Bündnis Bürgerenergie. Sie sieht neben Windenergie, deren Ausbau allerdings in den letzten Jahren nahezu zum Erliegen gekommen ist, Photovoltaikanlagen als Schlüsseltechnologie zur dezentralen Energiewende. Jeder PV-Quadratmeter produziert laut André jährlich die Energie, die ein Elektroauto für 1000 Kilometer benötigt. Dabei sind viele Flächen für mögliche Photovoltaikanlagen noch gar nicht ausgeschöpft: Dächer, Gebäudefassaden und sogar Schallschutzwände an Autobahnen eignen sich hierfür. Als kurzfristige Zwischenspeicher könnten auch Batterien von Elektroautos dienen, die über bidirektionale Ladestationen mit dem Stromnetz verbunden sind.

Robert Brandt von der Agentur für Erneuerbare Energien in Berlin beschäftigte sich mit der Wärmewende. Damit diese gelingt, müssten neben Photovoltaikanlagen und Windrädern auch mehr Biogasanlagen gebaut werden – und das Fernwärmenetz erweitert. „Bisher erreicht Fernwärme nur fünf Prozent des Wohngebäudebestands in Deutschland“, sagte Brandt. Für den Fernwärmeausbau bestehen bisher kaum Anreize, denn der Ölpreis ist im langjährigen Vergleich niedrig. „Das liegt daran, dass die Folgen nicht eingepreist sind“, erklärte er. Zuerst aber sollte man über eine gute Hausdämmung nachdenken, denn „jede nicht verbrauchte KWh ist erstmal eine gute KWh.“

Profilbild von Martin Randelhoff (Technische Universität Dortmund)
Martin Randelhoff (Technische Universität Dortmund)

„Massive Umsetzungsprobleme“ bei der Verkehrswende beobachtet Martin Randelhoff, Mitarbeiter der TU Dortmund und Betreiber des Blogs „Zukunft Mobilität“. „Steigender Wohlstand, multilokale Lebensführung, berufliche Spezialisierung und mehr Gleichberechtigung führen zu mehr Autos und mehr Flugreisen.“ Alleine für den Luftverkehr werde für den Zeitraum 2010 bis 2030 eine Steigerung um 78,7 % prognostiziert, wobei das größte Wachstum bei „öko-sensibilisierten jungen Menschen“ gesehen werde. In Deutschland, so der Verkehrsexperte, macht der Freizeitverkehr den Hauptanteil am gesamten Verkehrsaufkommen aus. „Wir brauchen auch einen kulturellen Wandel. Es gibt noch zu viele Verkehrstabus“, betonte Randelhoff.

Bericht von: Manfred Schwarzmeier

Links und Literaturhinweise:

·         Berichte des Weltklimarats

·         Bottrop Innovationcity

·         Energieautarkes Dorf Feldheim

·         Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft e.V.

·         Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH

·         TenneT TSO GmbH

·         Bündnis Bürgerenergie e.V.

·         Agentur für Erneuerbare Energien (auch: www.waermewende.de)

·         Blog „Zukunft Mobilität“

·         Mobilität in Deutschland (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur)

·         Verkehr in Zahlen (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur)

·         Energieatlas der Heinrich-Böll-Stiftung (2018)

·         Kohleatlas der Heinrich-Böll-Stiftung (2015)

·         Böll.fakten Energiewende (2019)