Schwangerschaftsabbruch in Deutschland – ein Hürdenlauf

Artikel

Elisabeth Wiesnet, M.A. (LMU) setzt sich mit unterschiedlichen Hürden auseinander, die einer Person bei dem Entschluss zu einem Schwangerschaftsabbruch begegnen können und Ausdruck der gesellschaftlichen Missbilligung des Eingriffs sind.

Lesedauer: 7 Minuten
Protestschild "I'm not Ovary-acting, this is about womens rights"

Schwangerschaftsabbrüche sind etwas Alltägliches. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland rund 104.000 Abbrüche gemeldet, also etwa 285 pro Tag (Destatis 2023). Wer ungewollt schwanger wird und einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung zieht, merkt jedoch schnell, dass diese Entscheidung bewusst schwer gemacht wird.

Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland im Strafgesetz über die §§ 218 ff reglementiert. Der Eingriff gilt als eine der Straftaten gegen das Leben und befindet sich damit im gleichen Abschnitt wie Mord und Totschlag. Diese Nähe entspricht auch der wertemäßigen Einstufung in der Gesetzgebung; der Abbruch wird nicht als private Entscheidung der Schwangeren verstanden, sondern als Angelegenheit des Staates. Die konkreten Regelungen wirken hierbei widersprüchlich: so ist der Eingriff zwar laut § 218 ein strafrechtliches Vergehen, das mit Geld- oder Gefängnisstrafe geahndet wird, gleichzeitig aber verbleibt er laut § 218a StGB unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Der überwiegende Teil der Abtreibungen in Deutschland erfolgt straffrei nach der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtberatung mit anschließend dreitätiger Wartefrist. Die Kosten für den Eingriff werden von den Krankenkassen ausschließlich bei sozialer Bedürftigkeit auf Antrag übernommen. Nun sollen jedoch die zusätzlichen Erschwernisse betrachtet werden, die zunächst nicht so naheliegend erscheinen wie die Kriminalisierung des Eingriffs über die Strafgesetzgebung.

Kein integraler Bestandteil der ärztlichen Ausbildung

So gilt in Deutschland für Ärzt:innen die Gewissensentscheidung. Jede Ärzt:in kann sich weigern, eine Abtreibung vorzunehmen, es sei denn das Leben der Schwangeren ist in Gefahr. Damit sind Schwangerschaftsabbrüche kein integraler Bestandteil der fachärztlichen Ausbildung. Kliniken erhalten im Bereich der Frauenheilkunde die volle Weiterbildungsermächtigung unabhängig davon, ob sie werdende Gynäkolog:innen in der Durchführung von Abtreibungen schulen oder nicht. Krankenhäusern ist es daher möglich, den Eingriff vollständig aus ihrem Alltag auszuschließen. Konfessionelle Häuser, die vielerorts das Feld der Geburtshilfe dominieren, übermitteln die Durchführung von Abbrüchen per se nicht an ihre Auszubildenden. Auch die Facharztausbildung in einem städtischen Krankenhaus ist kein Garant dafür, das Vornehmen von Abbrüchen erlernen zu können. Gerade in konservativ-katholisch geprägten Regionen ist der Eingriff auch in städtischen Kliniken ein Tabu. In Bayern sind so Schwangerschaftsabbrüche generell nicht in den Kliniken verankert, sondern obliegen der Verantwortlichkeit einzelner Praxen. Es ist daher möglich oder sogar wahrscheinlich, sich in Bayern als angehende Ärzt:in auf Gynäkologie zu spezialisieren, ohne jemals mit Schwangerschaftsabbruch in Berührung gekommen zu sein.

Keine Qualitätskontrolle

Das Vorgehen bei einem operativen Abbruch müssen sich interessierte Ärzt:innen oder Auszubildenden eigenständig aneignen, meist über die Behandlung von Fehlgeburten. Seit ein paar Jahren initiieren Medical Students for Choice zudem Workshops, in welchen sie die Durchführung von Abbrüchen an Papayas üben. In Bayern gibt es in Regensburg und in München Gruppen kritischer Medizinstudierender (MSFC 2023). Jedoch sind die angebotenen Workshops von den Studierenden selbstorganisiert und kein Bestandteil der universitären Ausbildung. Die Teilnahme ist freiwillig. Medizinstudierende müssen also ein aktives Interesse an der Thematik zeigen. Im Zuge ihres Studiums und ihrer Ausbildung lernen sie ansonsten kaum über Schwangerschaftsabbruch. Dies führt dazu, dass Abtreibungen auch unter Mediziner:innen tabuisiert und mit Vorurteilen belastet sind (Baier 2022). Abbrechenden Ärzt:innen berichten vielfach von abwertenden und distanzierenden Aussagen seitens ihrer Kolleg:innen. Folglich schweigen sie in Fachkreisen über ihre Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Auch die Strafbewährtheit macht den Eingriff zu einer wenig lukrativen Tätigkeit, die kein berufliches Renommee mit sich bringt. Zusätzlich fehlen medizinische Leitlinien; einzelne Methoden oder Verfahren werden nicht evaluiert. Das ärztliche Vorgehen bei einem Abbruch unterliegt also keiner Qualitätskontrolle. Dies ermöglicht, dass auch gegenwärtig noch Abbrüche per Ausschabung vorgenommen werden. Diese Methode gilt jedoch im Vergleich zur operativen Absaugung als überholt und stark körperlich eingreifend. Auch eröffnet diese fehlende Kontrolle Ärzt:innen weitgehende Freiheit im Verhalten gegenüber ihren Klient:innen, denn diese setzen sich aufgrund der Stigmatisierung des Eingriffs nicht gerichtlich gegen erlebtes Unrecht zur Wehr.

Abwehrendes Verhalten vieler Gynäkolog:innen

Die Tabuisierung von Schwangerschaftsabbruch unter Ärzt:innen zeigt sich auch im Verhalten vieler Gynäkolog:innen gegenüber ungewollt Schwangeren. Frauenärzt:innen übermitteln bisweilen lückenhafte und ungenügende Informationen. Beispielsweise händigen sie ihren Klient:innen lediglich den Flyer einer Beratungsstelle aus, informieren nicht ausreichend über die unterschiedlichen Methodenmöglichkeiten oder nennen keine Adressen zur Durchführung des Abbruchs. Bisweilen werden auch falsche Informationen vermittelt. Einige Gynäkolog:innen sehen sogar bewusst über den Wunsch nach einem Abbruch hinweg, stellen einen Mutterpass aus und vereinbaren einen nächsten Schwangerschaftsvorsorgetermin. Manche Gynäkolog:innen stellen außerdem ohne lediglich medizinische Notwendigkeit bei der Erstuntersuchung die Herztöne des Embryos hörbar ein. Ein derartiges Verhalten kann für die Schwangere psychisch sehr belastend sein und zögert gezielt die Dauer der ungewollten Schwangerschaft hinaus.

Zunehmende Verschlechterung der Versorgungslage

Aktuell fehlen junge Ärzt:innen, die bereit sind, Abbrüche anzubieten. Zusätzlich geht zusehends die Generation an Ärzt:innen in den Ruhestand, die in ihrer Ausbildung die gravierenden Folgen von illegalen Abbrüchen erlebten hatte und sich daher der unbedingten Notwendigkeit eines medizinisch hochwertigen Angebot an Schwangerschaftsabbrüchen bewusst war. Herr Stapf, der als Arzt in München praktiziert und dessen Praxis ein Drittel aller Abbrüche in ganz Bayern vornimmt, kann nicht in Rente gehen, obwohl er das Renteneintrittsalter bereits überschritten hat. Er findet keine Nachfolge. Momentan ist in München die Versorgungssituation noch sichergestellt, vor allem aufgrund des beständigen Einsatzes von Herrn Stapf. Über 75% der Ärzt:innen, die in München Abbrüche anbieten, werden jedoch in weniger als zehn Jahren in Rente gehen. Die Nachfolge ist in den meisten Fällen nicht geregelt. Außerdem wird es zunehmend schwerer, Praxispersonal zu finden, das das Vornehmen von Abbrüchen mitträgt und sich ggf. Anfeindungen aussetzt. Die Versorgungssituation in München wird sich also bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen in den nächsten Jahren deutlich verschlechtern (Gesundheitsreferat 2022). Ähnlich gestaltet sich die Situation in anderen bayrischen Großstädten. In den ländlichen Regionen dagegen ist die Versorgung schon heute mangelhaft. Im gesamten niederbayerischen Raum gibt es momentan nur zwei Möglichkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch nach der Beratungsregelung durchführen zu lassen (Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Passau 2023). Laut ,Schwangerschaftskonfliktgesetz´ (SchKG) ist es zwar Aufgabe der Länder, ein ausreichendes Angebot an ambulanten und stationären Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen. Konkrete Maßnahmen zur Garantie eines ausreichenden und vor allem flächendeckenden Angebots bleiben in Bayern jedoch aus. Gerade für Frauen in ländlich geprägten Regionen bedeutet dies, dass sie für die Durchführung eines Abbruchs sowie für Vor- und Nachuntersuchungen oftmals mehrstündige Fahrten in Kauf nehmen müssen. Bisweilen muss sogar eine Unterkunft organisiert werden. Dies geht mit einem erheblichen organisatorischen Aufwand einher. Das Fehlen am Arbeitsplatz muss erklärt werden. Ein Großteil der Schwangeren, die einen Abbruch ersuchen, hat bereits Kinder und muss eine Betreuung organisieren. Gerade für Alleinerziehende kann sich dies herausfordernd gestalten. Für Schwangere mit geringeren finanziellen Möglichkeiten stellt sich außerdem die Frage der Finanzierbarkeit von Fahrten und Übernachtungen.

Ungewollt Schwangere sind die Leidtragenden

Abschließend wird deutlich, dass Schwangere auf unterschiedlichste Hindernisse treffen, wenn sie ihre Schwangerschaft beenden möchten. Ihr Entschluss wird ihnen systematisch erschwert. Die hier dargelegten Hürden beziehen sich hauptsächlich auf das Feld der Medizin und stellen bei weiten nicht alle Hindernisse dar, die ungewollt Schwangeren begegnen. Auch jenseits der strafgesetzlichen Kriminalisierung wird deutlich vermittelt, dass der Wunsch nach einem Abbruch gesellschaftlich missbilligt ist. Ein Schwangerschaftsabbruch soll gezielt nicht als der alltäglich durchgeführte Eingriff gelten, der er faktisch ist, sondern als abnorm stigmatisiert werden. Die psychischen und körperlichen Belastungen dieser Stigmatisierung tragen ungewollt Schwangere.

 

Über die Autorin des Artikels:

Elisabeth Wiesnet

Elisabeth Wiesnet, M.A. hat Soziologie, Statistik und Gender Studies an der LMU München studiert. Derzeit promoviert sie am Institut für Soziologie an der LMU zum staatlichen Zugriff auf weibliche Körper am Beispiel von Schwangerschaftsabbruch. Sie ist Promotionsstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung und engagiert sich im Bereich binationaler Elternschaft. Der Artikel basiert auf Erkenntnissen, die Elisabeth Wiesnet aus qualitativen Interviews mit ,Konfliktberater:innen´, Ärzt:innen und Aktivist:innen im Rahmen ihres Promotionsvorhabens gewonnen hat.

Literatur:

Baier, Alicia (2022): »Weil das ist halt so ein heißer Brei, den will keiner anfassen.«. Mediziner*innen zum Schwangerschaftsabbruch. In: Fröhlich, Marie, Schütze, Ronja & Wolf, Katharina (Hg.): Politiken der Reproduktion. Umkämpfe Forschungsperspektiven und Praxisfelder. transcript Verlag, Bielefeld. S. 215-229.

Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Passau (2023): Hintergründe. Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland. Online verfügbar unter https://sexuelle-selbstbestimmung.org/ressourcen/#:~:text=Derzeit%20werden%20am%20Klinikum%20Passau,Absatz%202%20und%203%20StGB , zuletzt geprüft am 12.12.2023.

Destatis. Statistisches Bundesamt (2023): 9,9% mehr Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2022. Rund 104.000 gemeldete Fälle – knapp drei Viertel der Frauen unter 35 Jahren. Pressemitteilung Nr. 120 vom 27. März 2023. Online verfügbar unter 9,9 % mehr Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2022 - Statistisches Bundesamt (destatis.de) zuletzt geprüft am 12.12.2023.

Gesundheitsreferat (2022): Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen in München. Beschluss des Gesundheitsausschusses vom 21.07.2022 (SB). Öffentliche Sitzung. Online verfügbar unter https://risi.muenchen.de/risi/dokument/v/7226182, zuletzt geprüft am 12.12.2023.

MSFC - Medical Students for Choice Berlin (2023): MSFC deutschlandweit. Online verfügbar unter https://msfcberlin.com/msfc-deutschlandweit/, zuletzt geprüft am 12.12.2023.

 

Dieser Artikel stammt von Elisabeth Wiesnet. Eine Änderung durch die Petra-Kelly-Stiftung oder Andere ist nicht erfolgt. Urheberrechtslizenz: Alle Rechte vorbehalten