Griechenlands Medienlandschaft war lange ein Spiegelbild des herrschenden Klientelismus. Aktuell aber zeichnet sich eine gefährliche Entwicklung ab, welche nicht nur die Vielfalt der Medien, sondern auch die Demokratie im Land bedroht. Was genau hat sich in den vergangenen Monaten getan, und wie hat sich die politische Lage entwickelt?
Ein Artikel von Michalis Goudis.
Ganz gleich, welche Rangliste man zitiert, alle kommen zu ziemlich genau demselben Schluss: „Die Pressefreiheit in Griechenland hat 2020 Schaden genommen‟ – so der erste Satz des Länderberichts 2021 im Press Freedom Index der Organisation Reporter ohne Grenzen. Im internationalen Vergleich kommt Griechenland unter 180 Staaten auf Platz 70 und liegt somit, was die EU angeht, nur noch vor Malta, Ungarn und Bulgarien. Der Bericht führt u.a. an, die griechische Regierung habe versucht, „als Reaktion sowohl auf die Covid-Pandemie wie auch auf die Flüchtlingskrise, den Fluss von Informationen rigide zu beschränken‟, und es wird die Sorge geäußert, „neue Regeln beim Demonstrationsrecht‟ könnten der Pressefreiheit schaden, sehen sie doch „gesonderte Aufenthaltsbereiche für Reporter vor.‟
Der Media Pluralism Monitor 2021 des Centre for Media Pluralism and Media Freedom (CMPF) kommt zu dem Schluss, in Griechenland bestünden, „was die Vielfalt der Medien angeht, in sämtlichen untersuchten Bereichen Probleme.‟ Wem welche Medien gehören, stellt der Bericht fest, sei in Griechenland weitgehend undurchsichtig, und zudem seien „Medien in Privatbesitz nicht ausreichend vor politischer Einflussnahme geschützt.‟
Politische Eingriffe und die Pandemie verschärfen Probleme
Zwar mögen die Formulierungen und der Ton der Analysen heute anders ausfallen, als in den Jahren zuvor, doch ist in Griechenland, das seit einem Jahrzehnt durch finanzielle und politische Krisen schlittert, die Unabhängigkeit der Medien auf vielerlei Art bedroht – und die Gründe dafür reichen weit zurück. In einem Artikel für das EU-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung schrieb Stefanos Loukopoulos, „die griechische Medienlandschaft ist, kurz gesagt, geprägt von äußerst fragwürdigen Verbindungen zwischen Oligarchen, Banken, Medien und Politik.‟
Seit 2010 hat sich die Lage verschärft, denn viele traditionsreiche Medien mussten aus finanziellen Gründen schließen, und im Ergebnis hat sich der öffentliche Diskurs mehr und mehr zugespitzt. Unter der Koalitionsregierung von SYRIZA und ANEL wurde dies besonders deutlich, denn oft gelang es der Politik nicht, ausgewogen mit den Medien umzugehen, was sich vor allem bei Panos Kammenos, einem Vertreter des rechten, kleineren Koalitionspartners, zeigte, der nicht davor zurückschreckte, Journalist/innen wegen kritischer Artikel zu verklagen.
Zu den Problemen bei den nichtstaatlichen Medien kam, dass die Regierung der Nea Dimokratia, nach ihrem Wahlsieg 2019, damit begann, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu zentralisieren. Heute unterstehen sowohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ERT) als auch die staatliche Presseagentur – deren Texte auf fast alle griechischen Newswebsites zu finden sind – unmittelbar dem Premierminister und dem Amt für Information und Kommunikation.
Die Covid-Pandemie hat die griechische Regierung seit 2020 dazu benutzt, an die 20 Millionen Euro an Medien auszuschütten, damit diese zu Gesundheitsfragen informieren, und dies obgleich die griechische Verfassung vorsieht, dass Medien Bekanntmachungen von großem öffentlichen Wert kostenlos verbreiten müssen. Diese Maßnahme wurde umgehend als wenig transparent kritisiert, denn eine Liste jener, die von den Geldern profitierten, wurde erst auf Druck der Opposition und von Organisationen wie Vouliwatch öffentlich gemacht. Dies war nur das erste Glied einer langen Kette von Entwicklungen, die allesamt dazu beigetragen haben, während der Pandemie Freiheit und Vielfalt der Medien zu beschneiden.
2021 war ein Tiefpunkt für die Pressefreiheit in Griechenland
Seit Anfang des Jahres sorgte Griechenland bei vielen Journalistenverbänden für negative Schlagzeilen – unter anderem aus folgenden Gründen:
1. Die Ermordung des Journalisten Giorgos Karaivaz
Am 9. April 2021 wurde der bekannte Enthüllungsjournalist Giorgos Karaivaz am helllichten Tag vor seinem Haus in Athen erschossen. Premierminister Kyriakos Mitsotakis twitterte: „Der kaltblütige Mord an dem Journalisten George Karaivaz hat das gesamte Land erschüttert.‟ Mitsotakis forderte, der Fall, bei dem es sich laut Polizei „um einen Auftragsmord, durchgeführt von Profikillern‟ handelte, müsse rasch aufgeklärt werden. Sieben Monate später, und obgleich die griechischen Medien im Frühjahr gemeldet hatten, zu den Mördern gebe es eine heiße Spur, ist noch niemand verhaftet worden, noch wurden Verdächtige genannt, und zu den Ermittlungen gibt es nur wenige Informationen.
2. Eine Klage gegen eine Journalistin und eine Mediengenossenschaft
Im Oktober 2021 wurde die Alterthess Mediengenossenschaft in Thessaloniki sowie deren Journalistin Stavroula Poulimeni verklagt und zwar von der Hellas Gold S.A., einer Tochtergesellschaft der Eldorado Gold. Geklagt wird auf 100.000 Euro Schadenersatz für einen Artikel, der am 27. Oktober 2020 erschienen war, und in dem, laut Kläger, rechtswidrig persönliche Informationen aus einem Strafprozess veröffentlicht worden sein sollen. So die Geldstrafe nicht beglichen wird, droht der Journalistin eine einjährige Haftstrafe.
In Poulimenis Artikel, Überschrift „Zwei hochrangige Führungskräfte der Hellas Gold S.A. wegen Wasserverschmutzung im Norden von Chalkidiki verurteilt‟, geht es um einen Prozess, in dem die Firma aufgrund zahlreicher Verstöße gegen Umweltgesetze, konkret wegen Wasser- und Umweltverschmutzung, schuldig gesprochen wurde. Der Artikel geht auf das erstinstanzliche Urteil des Gerichts in Polygyros ein, welches das Berufungsgericht in Thessaloniki am 1. September 2021 bestätigte, und in welchem zwei Führungskräfte der Firma zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Das Gerichtsverfahren war öffentlich, die Berichterstattung nicht eingeschränkt, das Urteil wurde veröffentlicht – und dennoch hat man, ein gutes Jahr nachdem der Artikel erschienen war, Klage eingereicht, mit der Begründung, die Journalistin habe gesetzeswidrig persönliche Informationen aus einem Strafprozess veröffentlicht.
Aufgrund des Timings, der geltend gemachten Gründe sowie der finanziellen Forderungen, nannten internationale Presseorganisationen diese Klage ein Beispiel für sogenannte SLAPP-Verfahren („Strategic Lawsuit Against Public Participation‟, d.h. eine strategische Klage mit dem Ziel, Öffentlichkeit zu verhindern), und sie forderten die EU auf, einen „Anti-SLAPP-Direktive‟ zu verabschieden.
3. Ein Reporter wurde vom griechischen Geheimdienst abgehört, weil er einen Artikel über einen 12-jährigen syrischen Flüchtling veröffentlichte
Mitte November diesen Jahres veröffentlichte der griechische Journalist Dimitris Terzis in der Zeitung EFSYN Belege dafür, dass Journalisten, Beamte sowie Anwälte, die mit Flüchtlingen zu tun haben, vom griechischen Geheimdienst EYP überwacht werden, und dasselbe gilt für bekannte Impfgegner. Zu den überwachten Personen gehört scheinbar auch der Journalist Stavros Malichudis, der u.a. Griechenlandkorrespondent der Agentur AFP ist. Malichudis recherchiert schon lange zur Lage von Flüchtlingen in Griechenland, wozu auch eine ausführliche Reportage gehört, in der er über das Leben jugendlicher Asylsuchender in Zeiten von Covid berichtete.
Die Website Reporters United veröffentlichte unter dem Titel Ich bin der Journalist, der vom Geheimdienst abgehört wird einen Gastkommentar von Malichudis, in dem dieser von einer Reportage über einen 12-jährigen syrischen Flüchtling namens Jamal berichtete, dessen Zeichnungen sogar Le Monde veröffentlicht hatte. Anhand der Dokumente des griechischen Geheimdienstes EYP, die Terzis öffentlich gemacht hatte, wies Malichudis nach, dass er der abgehörte Journalist ist.
Eben diese Dokumente belegen auch, dass der EYP (für den seit 2019 das Büro des Premierministers direkt zuständig ist) auch einen Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) überwacht hat. Malichudis fragt: „Woher weiß der EYP, an welcher Story ein Journalist gerade arbeitet? Um wen handelt es sich bei der ‚äußerst glaubwürdigen Quelle‛, die Informationen über noch in Arbeit befindliche Reportagen weiterreicht? Sowie, und das ist am wichtigsten, zu welchem Zweck werden derartige Informationen gesammelt, und an wen werden sie weitergeleitet?‟ All das gipfelt für Malichudis in der Frage: „Stellt der Journalismus eine Gefahr für die Demokratie dar?‟
4. Der Fall Ingeborg Beugel – oder wer bestimmt unsere Sicht auf Migration
Über den hitzigen Wortwechsel zwischen der holländischen Journalistin Ingeborg Beugel und dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis, zu dem es im November bei einer Pressekonferenz anlässlich des Besuchs des niederländischen Premierministers in Griechenland kam, wurde in griechischen und internationalen Medien berichtet. Beugel konfrontierte Mitsotakis mit der Aussage, Griechenland schiebe an der EU-Außengrenze illegal Migrant/innen ab, worauf Mitsotakis Beugel attackierte und bezweifelte, dass sie je ein Flüchtlingslager auf Samos besucht habe. In den sozialen Medien sorgte der Schlagabtausch für einigen Wirbel. Die Wortwahl des griechischen Premiers, der erklärte, er respektiere die offene Art, in der in den Niederlanden (anders als in Griechenland?) Journalist/innen Fragen stellten, führte zu einer erregten Debatte, in der Beugel von bekannten Nachrichtensprechern als „türkenfreundlich‟ bezeichnet wurde. Beugels Statement sorgte insbesondere deshalb für Irritationen, weil es die Erzählung der griechischen Regierung darüber, wie man Migration manage, in Frage stellt.
Die 61-jährige Ingeborg Beugel arbeitet als freie Journalistin für holländische Medien, lebt seit beinahe 40 Jahren auf Hydra, und sie wurde im Juni des Jahres verhaftet, weil man ihr vorwarf, „dem illegalen Aufenthalt von Ausländern in Griechenland Vorschub zu leisten‟. Nach dem Zwischenfall bei der Pressekonferenz im Amtssitz des Premiers wurde Beugel Gewalt angedroht, man versuchte sie einzuschüchtern und, auf Empfehlung von niederländischer Botschaft und Außenministerium, sah sie sich schließlich gezwungen, Griechenland zu verlassen.
5. Das neue Strafrecht und die heikle Definition von Fake News
Das soeben in Kraft getretene neue Strafrecht hat, speziell durch einen seiner Artikel, in Griechenland und darüber hinaus für Schlagzeilen gesorgt. Organisationen wie EurAktiv und Human Rights Watch kritisierten die neuen Bestimmungen. In Artikel 191 des neuen Gesetzes heißt es, „Fake News, die dazu geeignet sind, die Öffentlichkeit zu verunsichern oder zu verängstigen, oder die das Vertrauen in die Volkswirtschaft, die Verteidigungsbereitschaft des Landes oder in die Gesundheitspolitik untergraben‟, können rechtlich sanktioniert werden. Auf Verstöße steht, laut Gesetz, „Gefängnis von wenigsten drei Monaten sowie eine Geldbuße‟, und weiter heißt es, „erfolgen die Verstöße fortgesetzt, sei es in gedruckter Form oder online, soll der Zuwiderhandelnde mit Haft von wenigstens sechs Monaten und einer Geldbuße bestraft werden.‟
Was fehlt, ist eine eindeutige Definition von „Fake News‟ – und entsprechend ist das neue Gesetz äußerst heikel, denn es ist dazu geeignet, die Freiheit der Presse in diesen ohnehin schwierigen Zeiten weiter zu sabotieren. Die Gewerkschaft der Griechischen Journalist/innen und der Verband Athener Tageszeitungen (ESIEA) forderten deswegen, das Gesetz müsse zurückgezogen werden, sei es doch allzu schwammig formuliert, und beide Vereinigungen haben ihre europäischen Partner über die Vorgänge informiert, in der Hoffnung, dass die Angelegenheit
Was fehlt, ist eine eindeutige Definition von „Fake News‟ – und entsprechend ist das neue Gesetz äußerst heikel, denn es ist dazu geeignet, die Freiheit der Presse in diesen ohnehin schwierigen Zeiten weiter zu sabotieren. Die Gewerkschaft der Griechischen Journalist/innen und der ESIEA forderten deswegen, das Gesetz müsse zurückgezogen werden, sei es doch allzu schwammig formuliert, und beide Vereinigungen haben ihre europäischen Partner über die Vorgänge informiert, in der Hoffnung, dass die Angelegenheit bald auch im Europaparlament diskutiert wird.
Keine angemessenen Reaktionen aus dem Inland oder der EU
Über die meisten der genannten Vorfälle und Ereignisse wird in den griechischen Medien entweder kaum oder aber sehr einseitig berichtet, was eine öffentliche Diskussion erschwert. In Debatten in Griechenlands Parlament wird auf die eigentlichen Fragen kaum eingegangen, und das übliche Geschrei der Spitzenpolitiker verwirrt die Bürgerinnen und Bürger nur weiter. Griechische Journalistenverbände haben die ein oder andere Entwicklung verurteilt, und internationale Presseorganisationen haben die griechische Regierung wiederholt zu Stellungnahmen aufgefordert – in der Regel ohne Ergebnis.
Mehr Grund zur Besorgnis ist aber wohl, dass die Organe der EU die Ereignisse bisher weitgehend ignorieren. Im Länderkapitel zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Griechenland des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit 2021 heißt es beispielsweise, was die Freiheit und Vielfalt der Medien betrifft, die „körperliche Sicherheit von Journalisten wird weiterhin angegriffen und bedroht‟, und auch die Ermordung von Giorgos Karaivaz wird erwähnt. Insgesamt werden die Formulierungen jedoch der äußerst beunruhigenden Tatsache nicht gerecht, dass in Griechenland der Rechtsstaat in Gefahr ist. Man muss sich fragen, welchen Wert ein derartiger Bericht haben kann, und welche Folgen sich aus ihm für einen EU-Mitgliedsstaat ergeben, der eindeutig gegen europäische Grundwerte verstößt.
Wird weiter so nachsichtig reagiert, kann die Zukunft eines Landes auf dem Spiel stehen, das erst vor 47 Jahren wieder demokratisch wurde, sowie auch die Zukunft der EU insgesamt, der Griechenland vor 40 Jahren beitrat. Könnte vielleicht das geplante Gesetz zum Schutz der Pressefreiheit in Europa (European Media Freedom Act) die griechischen Medien ausreichend schützen? „Pressefreiheit ist für Demokratie nicht nur wichtig, sie ist Demokratie‟, so einst Walter Cronkite, der vielleicht bekannteste Journalist seiner Zeit und „der Mann, dem Amerika vertraut‟. Das Zitat bringt es auf den Punkt: Für die Vielfalt der Medien muss tagtäglich gekämpft werden, und dieser Kampf ist für jede funktionierende Demokratie von entscheidender Bedeutung. Wird Griechenland auch in Zukunft eine funktionierende Demokratie sein können?